Giselles Geheimnis
nicht seine Assistentin, sondern Giselle in seinem Büro stand. „Oh, Sie sind es.“
Es lag nicht an seinem plötzlich eher unfreundlichen Tonfall, dass Giselle heiße Röte in die Wangen schoss. Nein, während er in das Zimmer kam, war er dabei gewesen, sein Hemd aufzuknöpfen. Die Krawatte hatte er schon abgelegt, ebenso die Manschetten. Als er sich irritiert mit einer Hand durchs Haar fuhr, rutschte der Hemdärmel und gab den Blick frei auf einen muskulösen gebräunten Unterarm. Die Welle, die auf ihre weibliche Sinneswahrnehmung einstürzte, hätte Giselle fast aus dem Gleichgewicht geworfen. Die Macht der Empfindungen erschreckte sie zutiefst, solche Gefühle waren ihr völlig fremd. Gleichzeitig ärgerte es sie maßlos, dass sie so fühlte, und so presste sie unwillkürlich die Unterlagen fester an die Brust.
Das Rascheln des Papiers zog Stefanos Blick an. Sie atmete zu schnell, mit leicht geöffneten Lippen, die Arme eng an sich gedrückt. Ihre Haltung hatte etwas von einer Sklavin in alten Zivilisationen, die zu ihrem Herrn gerufen worden war, um ihm zu Diensten zu sein.
Die Richtung, die seine Gedanken einschlugen, passte Stefano ganz und gar nicht. Die letzten zehn Tage hatte er mit harten Verhandlungen verbracht, um sich einige Grundstücke in bester Lage für die Expansion seiner Hotelkette nach China zu sichern. Und weil die Verhandlungen so hart gewesen waren, war es ihm auch leichtgefallen, die eindeutigen Angebote der Damen bei den Abendgesellschaften, zu denen die Gastgeber geladen hatten, abzulehnen.
Scheinbar jedoch war sein Körper nicht damit einverstanden gewesen, musste er grimmig zugeben, während er die Bilder zu verdrängen suchte, die vor ihm aufstiegen. Bilder von einer grünäugigen, hellblonden Schönheit, die den Krieger nach der erfolgreich geschlagenen Schlacht empfing, um ihn zu verwöhnen und ihm Entspannung zu schenken. Seine Vorfahren hätten es wohl so erwartet, er jedoch konnte nicht einmal einen Kaffee und ein Sandwich bekommen und musste sich stattdessen mit einer kratzbürstigen Planungsleiterin abfinden, die er nicht in seiner Nähe haben wollte.
Ihre Worte drangen in seine Gedanken. „Ich kann auch morgen wiederkommen, wenn es jetzt nicht passt.“
„Morgen fliege ich nach New York. Wenn es dringend genug war, dass Sie zu mir gekommen sind, sollten Sie jetzt auch sagen, worum es geht.“ Er drückte den Knopf der Sprechanlage. „Charlie, könnten Sie mir bitte einen Kaffee und ein Sandwich aus dem Café drüben bringen? Sie sollen es auf meine Rechnung setzen.“ Charlie war der Portier, das wusste Giselle. Dann sah Stefano wieder zu ihr. „Also, was ist?“
„Mir ist eine Ungereimtheit in den geänderten Plänen aufgefallen“, antwortete Giselle. „Ich habe die Unterlagen dabei.“
Stefano ließ einen ungeduldigen Laut hören. „Die ich nicht einsehen kann, wenn Sie sie an sich pressen. Legen Sie sie mir auf den Schreibtisch.“
Die letzten Sonnenstrahlen fielen durchs Fenster und machten den dünnen Stoff von Giselles Bluse durchsichtig, als sie die Unterlagen auf den Schreibtisch legte. Stefanos Blick wanderte automatisch zu ihrem Busen, der sich deutlich unter dem billigen weißen Stoff abzeichnete.
Sie durfte nur daran denken, weshalb sie hier war, und nicht daran, was Stefano Parentis Nähe mit ihr anstellte, ermahnte Giselle sich still. Aber wie sollte ihr das gelingen, wenn sie seinen kritischen Blick, der Emmas Bemerkung nur bestätigte, auf sich liegen spürte?
Die Ankunft des Portiers mit Stefanos Bestellung gewährte ihr eine willkommene Ablenkung. Sie richtete die Unterlagen auf dem Schreibtisch aus und trat zurück, während Stefano sich bei Charlie bedankte und noch ein paar Worte über die neuesten Fußballergebnisse mit ihm wechselte.
So, als gab also eine menschliche Seite an Stefano Parenti. Die Chancen, dass sie die je zu sehen bekommen würde, waren jedoch verschwindend gering. Warum sie das enttäuschen sollte, war Giselle völlig schleierhaft. Sie wollte doch gar nicht, dass er nett zu ihr war.
„Wo liegt nun das Problem?“, kehrte er zum Thema zurück, nachdem er sich wieder gesetzt und einen Schluck Kaffee getrunken hatte.
„Hier bei dem geänderten Plan …“ Giselle war so darauf erpicht, die ganze Sache schnellstmöglich hinter sich zu bringen, dass sie sich über den Schreibtisch beugte und auf die entsprechenden Stellen in den Unterlagen deutete, ohne sich bewusst zu sein, dass sie damit ihr Dekolleté genau auf
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