Giselles Geheimnis
Beispiel?
Der Raum, der hinter den Flügeltüren lag, wies die Eleganz auf, die man in einem solch prunkvollen Palast erwartete, doch so diskret, dass es erstaunlich angenehm für das Auge war. Die vertäfelten Wände waren in einem hellen Grau gehalten, lange weiße Vorhänge hingen vor den hohen Fenstern, und der große Spiegel über dem offenen Kamin reflektierte das Bild der wenigen, aber sicherlich unendlich kostbaren antiken Möbel in dem Raum.
Bei den schweren Knole-Sofas, gepolstert mit mattgrauem samtigem Damast, waren auf Hochglanz polierte Tischchen angereiht, auf denen Tischlampen mit grauen Lampenschirmen standen. Der große Teppich war offensichtlich alt und wertvoll, das blaue und cremefarbene Muster wurde vom reichen Stuck an der Decke wieder aufgenommen.
Es war eindeutig der Raum eines Mannes, aber auch eine Frau konnte sich hier wohlfühlen, war der Gedanke, den Giselle sofort unterdrückte, als sie erkannte, wohin so etwas führen konnte.
„Ihr Zimmer ist hier entlang“, sagte Stefano jetzt.
Ihr Zimmer? Aha. Obwohl er vor Natasha etwas anderes behauptet hatte, dachte er also keineswegs daran, dass sie miteinander schlafen würden. Nein, natürlich nicht, das hatte sie doch gleich gewusst. Und sich gewünscht, es wäre anders? Auf gar keinen Fall!
„Ich gehe nicht eher, bis Sie mir nicht gesagt haben, was hier abläuft und warum Sie Natasha einreden wollen, dass …“
„Was rede ich ihr ein?“
„Das wissen Sie genau. Sie haben bewusst den Eindruck bei ihr erweckt, wir wären ein Liebespaar.“
„Stimmt.“
Sein freimütiges Geständnis nahm ihr den Wind aus den Segeln. „Aber wieso?“, konnte sie nur fassungslos fragen.
„War das nicht offensichtlich?“, stellte er mit einem Achselzucken die Gegenfrage. „Sie haben sie doch gesehen und gehört. Meiner Meinung nach lässt sie unmissverständlich durchblicken, was sie will.“
Er bezog sich darauf, wie deutlich Natasha gemacht hatte, dass sie ihn wollte. Empfindungen, gegen die sie machtlos war, schnürten Giselle die Kehle zu – Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Eifersucht. Natasha entsprach so viel mehr dem Typ Frau, für den Stefano sich interessierte, dem Typ, der sie niemals sein könnte. Darauf hatte das Verlangen nach ihm sie also reduziert? Dass sie ihn wollte ? Wie konnte ein eher banales Wort all die Qualen und die Pein enthalten, die so intensiv geworden waren, dass sie sie aus dem Schlaf rissen, ihren Körper gefangen hielten und ihre Selbstbeherrschung sabotierten?
Aus reiner Verzweiflung sagte Giselle das Einzige, mit dem sie sich schützen konnte. „Sie müssen ihr wohl Grund gegeben haben, zu glauben, ihre … ihre Gefühle werden erwidert“, beschuldigte sie ihn. So wie er sie, Giselle, ja auch geküsst hatte. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass für einen Mann wie Stefano mehr nicht nötig war, um quälende Sehnsucht zu erwecken – ein Kuss.
„Nein, nie“, verteidigte er sich knapp.
„Warum sagen Sie ihr dann nicht einfach, dass Sie nicht interessiert sind? Anstatt sich hinter einer angeblichen … einer angeblichen Beziehung mit mir zu verstecken?“
„Natasha ist mit meinem Cousin verheiratet“, gab Stefano zurück. „Er liebt sie. Er ist geradezu besessen von ihr und glaubt, dass sie seine Gefühle erwidert. Die Wahrheit jedoch ist, dass Natasha erst Interesse für Aldo entwickelt hat, nachdem ich ihr klargemacht hatte, dass sie bei mir ihre Zeit verschwendet. Natasha mag es nicht, wenn sie nicht bekommt, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Sie würde ohne Weiteres ihr Ehegelübde brechen, und ich würde es ihr auch zutrauen, dass sie eines Abends einfach in meinem Bett auf mich wartet, um zu bekommen, was sie will.“
„Und? Würde sie es bekommen?“
Giselle konnte sehen, dass sie ihn verärgert hatte – erneut. Würde er sie dafür auf die gleiche Art bestrafen, wie er es schon einmal getan hatte? Mit einem Kuss? Die Sehnsucht, die in ihr aufbrandete, ließ sie schwach und aufgewühlt zurück. Sie hasste sich selbst noch mehr für das, was mit ihr passierte, als Stefano, weil er der Grund dafür war.
In plötzlicher Panik warf sie ihm vor: „Sie hatten das von Anfang an geplant, stimmt’s? Sie haben mich mit hergebracht, um mich zu benutzen, ohne Rücksicht darauf, ob es für mich berufliche Konsequenzen hat. Sie stellen mich als die nächste Idiotin dar, die an nichts anderes denken kann, als mit Ihnen ins Bett zu hüpfen. Sie sind ebenso amoralisch und falsch wie die Frau
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