GK0077 - Der Blutgraf
anheimelnder. Zwischen den Lampen hingen kleine Bilder. Sie zeigten zumeist Motive aus der Seefahrt.
Die Zeichen standen für den Vampir günstig. Blitzschnell verließ er die enge Kammer.
Für einen Augenblick blieb er unbeweglich stehen. Die Gewißheit, hier in der Nähe Menschen zu finden, regte seinen Blutrausch an.
Er brauchte ein Opfer!
Und er wußte auch schon, wen er sich holen würde.
Die Frau aus Kabine acht.
Vor dieser Tür blieb der Vampir stehen. Noch zögerte er.
Ehe er einen Entschluß fassen konnte, wurde die bewußte Tür aufgezogen.
Gleichzeitig tauchten am anderen Ende des Ganges zwei Männer auf.
Der Vampir entschied sich blitzschnell.
Ehe ihn die Frau ansehen konnte, hatte er sich herumgedreht und sah sich eines der an der Wand hängenden Bilder an.
Die beiden Männer gingen hinter seinem Rücken vorbei. Sie schenkten Graf Tomaso keinen Blick.
Als er kurz den Kopf wandte, sah er gerade noch, wie die Frau aus Kabine acht am Ende des Ganges verschwand.
Der Vampir unterdrückte nur mühsam einen Fluch. Er mußte die Frau haben. Koste es, was es wolle.
Aus der Jackentasche holte er ein Stück Draht. Er hatte ihn oben auf Deck gefunden und ihn sich zurechtgebogen. Noch ein kurzer Blick nach links und rechts, und dann führte Graf Tomaso den gebogenen Teil des Drahtes behutsam in das Schlüsselloch.
Es klappte beim zweiten Versuch.
Die Tür sprang auf.
Der Vampir huschte in die Kabine.
Durch das kleine viereckige Fenster fiel Tageslicht. Die Einrichtung in dem Raum wirkte teuer und geschmackvoll. Eine schmale Tür führte in den anschließenden Duschraum.
Ein bis zur Decke reichender Wandschrank fesselte die Aufmerksamkeit des Untoten.
Ein idealeres Versteck gab es gar nicht.
Der Vampir schloß die Tür auf und trat hinein. Er mußte noch ein paar Kleider zur Seite schieben, ehe er bequem stehen konnte.
Jetzt würde ihm sein Opfer nicht mehr entrinnen…
***
Im ersten Augenblick hatte sich Susan Miller über den hochgewachsenen Mann gewundert, der sich so schnell umgedreht hatte. Sein Gesicht war in dem kurzen Augenblick nicht zu erkennen gewesen. Ob der was von ihr gewollt hatte?
Ach, war ja egal. Der würde sich schon wieder melden.
Susan Miller wollte sich trotz des nicht gerade freundlichen Wetters ein wenig auf Deck umsehen. In der Kabine hatte sie Platzangst bekommen.
Ihre Kabine lag in der zweiten Etage des Passagiertraktes. Um an Deck zu gelangen, mußte sie über zahlreiche Treppen gehen. Höflich grüßende Besatzungsmitglieder begegneten ihr. Manch verstohlener Blick tastete schnell ihre Figur ab.
Susan Miller trug lange Hosen und einen engen aber warmen Pullover.
Den brauchte sie auch, denn auf Deck herrschte eine steife Brise.
Langsam schlenderte sie bis zur Reling. Susan war nicht die einzige, die den Wunsch gehabt hatte, hier oben zu sein. Es herrschte reger Betrieb. Stewards eilten mit Getränken umher. Die Stimmung war prächtig.
Noch ahnte niemand etwas von der Katastrophe.
Eine attraktive Frau mit langen blonden Haaren hatte ihre Arme auf das weiß gestrichene Geländer gestützt und blickte hinaus aufs Meer. Als sie für einen kurzen Moment den Kopf wandte, erkannte Susan in ihr die Dame, mit der sie kurz vor der Abfahrt gesprochen hatte.
Auch Sheila hatte Susan entdeckt. Sie winkte ihr zu.
»Haben Sie es auch in der Kabine nicht ausgehalten?« fragte Susan Miller.
Sheila lachte. »Nein, so ist das gerade nicht. Aber mein Mann hat sich bereit erklärt, die Koffer auszupacken, und wenn ich dageblieben wäre, hätte er es sich vielleicht noch anders überlegt.«
Ein Steward bot heißen Grog an.
Die Frauen nahmen jede ein Glas.
»Machen Sie die Reise zu Ihrem Vergnügen, Miss…«
»Miller. Ich heiße Susan Miller. Und Sie?«
»Sheila Conolly.«
»Um auf Ihre Frage zurückzukommen, Mrs. Conolly, teils teils. Ich bin wissenschaftliche Assistentin in einem archäologischen Institut in Miami. Wir waren in Europa unterwegs. Eine reine Forschungsreise. Wir haben alte Burgen und Schlösser durchstöbert und manches wertvolle Stück mitbringen können. Deshalb auch die Schiffsreise. Mit dem Flugzeug hätten wir das schwerlich transportieren können.«
»Es gibt aber Transportmaschinen«, meinte Sheila.
»Dr. Fulmer, der Leiter unserer kleinen Expedition, war dagegen.«
»Ist das der Herr mit der Brille?« Sheilas weibliche Neugierde war erwacht.
»Genau.«
»Er machte einen verschlossenen Eindruck, finden Sie nicht auch?«
Susan senkte den Kopf.
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