GK0077 - Der Blutgraf
grausame Wahrheit.
Der Vampir war gekommen, um sie zu holen.
»Komm her!« sagte der Untote und streckte seine Hand aus.
Sie stieg über den Beckenrand und näherte sich dem unheimlichen Grafen.
Seltsam, dachte Susan. Ich gehorche ihm sogar.
Dieser ging weiter zurück, lockte die Frau in die Kabine.
In der Mitte des Zimmers blieb er stehen.
Auch Susan stoppte. Ihre großen Augen waren auf den Mann gerichtet. Sie spürte keine Angst mehr, nur ein seltsames Verlangen, diesen Mann zu besitzen, ihm ganz zu gehören.
Langsam ließ Susan das Badetuch vom Körper gleiten. Ein verheißungsvolles Leuchten lag in ihren Augen.
Im gleichen Moment schrie der Vampir gellend auf.
Er wurde wie unter einem unsichtbaren Hieb zu Boden geschleudert, bedeckte mit dem rechten Arm sein Gesicht und streckte den linken vor.
»Das Kreuz«, ächzte er. »Nimm das Kreuz weg!«
Erst jetzt wurde Susan bewußt, was er meinte. Ihr kleiner Talisman, der an einer silbernen Kette vor der Brust hing.
Hastig streifte sich Susan die Kette über den Kopf und warf sie mitsamt Talisman angewidert in das Duschbecken.
Es gab ein klirrendes Geräusch.
»Ist es gut so?« fragte Susan flüsternd.
»Ja.«
Der Vampir stand auf. Doch noch immer flackerte Angst in seinem Blick.
»Es ist nichts mehr da, Meister«, sagte Susan.
Sie wunderte sich nicht einmal, wie glatt ihr das Wort Meister über die Lippen kam.
Der Vampir hatte seine Fassung wieder gefunden. Der Blutrausch war zurückgekehrt.
Das nackte Mädchen war nicht mehr Herr seiner Sinne. Wie in einem Taumel kreiselte Susan herum, warf sich auf das Bett und erwartete den Vampir mit ausgestreckten Armen.
Graf Tomaso beugte sich über sie.
Höllisch spitze Zähne näherten sich dem glatten Hals des Mädchens. Zwei Fingerkuppen strichen über die samtene Haut.
Susan stöhnte. Sie drehte ein wenig den Kopf.
Ihr Blick brach sich in den Augen des Vampirs. Susan hatte das Gefühl, in einen unendlich tiefen See hineingezogen zu werden und zu ertrinken.
Die beiden spitzen Stiche spürte sie nur im Unterbewußtsein. Blut sprudelte aus ihrer Halsschlagader.
Hellroter Lebenssaft, der von dem Untoten gierig aufgesaugt wurde.
Und Susan? Sie wehrte sich nicht, konnte sich auch nicht wehren, denn das Zimmer begann um sie herum zu schaukeln. Farbige Bälle tauchten auf und zerplatzten.
Und dann gab es nur noch die Dunkelheit. Die alles verzehrende Finsternis, die der Sendbote des Todes ist.
***
Irgendwann wurde Susan Miller wach. Noch immer lag sie nackt auf dem Bett.
Verstört richtete sie sich auf. Ihr Blick traf das Bettuch. Eine rote Lache hatte sich darauf ausgebreitet.
Blut!
»Mein Gott«, flüsterte Susan, »wie kommt das hierher?«
Ob der Unbekannte noch hier war? Vielleicht im Duschraum?
Auf Zehenspitzen schob sich Susan durch die Tür.
Der Raum war leer. Aber das Becken war noch feucht, auch das nasse Stück Seife klebte noch unter dem Magnethalter.
Susan ging einen weiteren Schritt vor.
Da sah sie ihr Amulett.
Es lag in dem Becken. Das Licht der Deckenlampe brach sich in dem Silber.
»Nein!« Susan fuhr zurück. Der Anblick des Amuletts schien ihr körperliche Schmerzen zu bereiten.
Das Waschbecken war in die Wand eingebaut. Susan zog die beiden Holztüren auseinander, wollte nach ihren Haaren fassen und stieß plötzlich einen spitzen Schrei aus.
Ihr Spiegelbild war nur noch ein verwaschener Fleck!
Die Erkenntnis traf sie wie ein Keulenschlag. Mit beiden Händen wischte Susan verzweifelt über die glatte Fläche des Spiegels, doch sie änderte nichts.
Mit herabhängendem Kopf und aufgestützt auf das Becken verharrte sie.
Warum gab der Spiegel nicht ihr Bild zurück?
Susan wandte sich ab. Sie hatte die Hände gegen das Gesicht gepreßt und taumelte auf einen Sessel zu. Schwer ließ sie sich hineinfallen.
Susan Miller hörte nicht die Stimmen draußen auf dem Gang, bekam nicht das Lachen fröhlicher Menschen mit, sie befand sich in einem festen Schlaf.
Erst nach Stunden wachte Susan wieder auf. Mit einem schnellen Blick auf die Uhr stellte sie fest, daß sie sich beeilen mußte, um rechtzeitig zum Dinner zu kommen.
Susan machte sich innerlich Vorwürfe, daß sie eingeschlafen war. Wie konnte das nur passieren.
Sie wollte gerade gehen, da spürte sie plötzlich ein seltsames Gefühl in sich hochsteigen.
Eine Art Hunger.
Aber nicht auf Speisen, sondern auf etwas ganz anderes.
Auf Blut!
Zuerst erschrak Susan bei dem Gedanken, doch dann freundete sie sich damit an.
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