GK0077 - Der Blutgraf
Schreie der Untoten gellten in Sheilas Ohren. Sie wußte, daß sie jetzt nicht nachgeben durfte. Susan Miller war kein Mensch mehr. Sie war – durch was auch immer – zu einem Vampir geworden.
Sheila sprang vor. Ihre Hände verkrallten sich in Susans Haaren. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung schleuderte sie die Untote herum, daß sie gegen die Wand der Kabine krachte und wimmernd daran herunterrutschte.
Viel Zeit blieb Sheila nicht mehr. Durch reine Schläge konnte sie die blutsaugende Bestie nicht vernichten. Sie brauchte einen angespitzten Gegenstand, den sie Susan durch das Herz rammen konnte.
Susan Miller hatte die Schläge überstanden. Sie stand schon wieder auf den Beinen.
Ein gräßliches Fauchen drang aus ihrem halb geöffneten Mund. Mit irrem Blick stierte sie ihr vermeintliches Opfer an.
»Komm!« kreischte sie. »Ich werde es dir zeigen! Du sollst nur dem Meister gehören!«
Susan Miller bot einen schrecklichen Anblick. Sie hatte die Arme weit vorgestreckt und die Hände gespreizt. Ihr Gesicht hatte nichts Menschliches mehr an sich. Die blonden Haare hingen ihr wirr in die Stirn. Die Sucht nach frischem Blut hatte sie gepackt.
Sheila Conolly wich zurück. Sie wunderte sich, wie kalt sie auf einmal war. Jegliches Angstgefühl war verflogen. Sie wußte genau, daß sie mit dieser Untoten fertig werden würde.
»Ja, komm nur«, lockte Sheila. »Nicht du wirst mich vernichten, sondern ich dich.«
Susan fauchte wild. Die Worte hatten sie getroffen, machten sie unvorsichtig.
Mit ausgebreiteten Armen warf sie sich vor, versuchte Sheila zu packen.
Doch ihr vermeintliches Opfer wich mit einer gedankenschnellen Bewegung aus und drehte sich um die eigene Achse.
Der Angriff ging ins Leere. Wild warf sich die Untote herum. Sie wollte nicht aufgeben. Noch war nichts verloren.
Im gleichen Augenblick wurde die Tür auf gestoßen.
Fast synchron ruckten die Köpfe der beiden Frauen herum.
Ein Mann stand in der Kabine.
Graf Tomaso!
***
Mit sorgenvollem Gesicht schob Bill Conolly den erst halb leer gegessenen Teller zur Seite. Ein Ober, der dies sah, zog pikiert die Augenbrauen in die Höhe.
»Schmeckt es Ihnen nicht, Sir?«
»Nein, verdammt.«
Bill blickte seinen Freund John Sinclair an, der sich soeben eine Zigarette angezündet hatte. Auch er hatte nichts gegessen, außer der Vorspeise.
»Sheila bleibt verflixt lange, John. Da stimmt etwas nicht.«
Der Inspektor beugte sich vor. »Die beiden Frauen werden sich unterhalten. Vielleicht ist Susan Miller auch noch nicht fertig. Es gibt viele Gründe für ihr Wegbleiben.«
Der Reporter lachte spöttisch. »Daran glaubst du doch selber nicht.«
Mit dieser Vermutung hatte Bill allerdings recht. Auch John machte sich inzwischen Sorgen. Wenn er es sich auch noch nicht anmerken ließ.
»Ich sehe mal nach«, sagte Bill entschlossen. »Sheila hat mir zum Glück die Kabinennummer der Frau gesagt.«
Der Reporter wollte gerade aufstehen, als sein Blick für einen kurzen Augenblick John Sinclair streifte.
Der Inspektor schien seinen letzten Satz gar nicht mitbekommen zu haben. Er starrte interessiert in Richtung Eingangstür.
Auch Bill wandte jetzt den Kopf.
Ein Mann in der blauweißen Uniform eines Schiffsoffiziers schob sich langsam durch die einzelnen Tischreihen. Daran war an sich nichts besonderes, wenn nur nicht der Blick gewesen wäre, mit dem er die Passagiere anstarrte.
»John, was ist…«
Der Inspektor winkte ab. Langsam erhob er sich von seinem Stuhl. »Kümmere du dich um Sheila, Bill. Los, mach, es ist besser.«
»Und du?«
»Rede nicht! Geh!«
Johns Stimme klang scharf. Selten hatte Bill seinen Freund so erlebt. Aber er wußte auch, daß dann immer etwas los gewesen war.
Entschlossen wandte sich der Reporter um und strebte mit hastigen Schritten dem Ausgang zu.
John Sinclair löste sich von seinem Tisch und schnitt dem Mann in der Uniform den Weg ab. Der Scotland-Yard-Inspektor, auch Geister-Töter genannt, hatte einen Blick für Menschen wie dieser war.
Der Mann stand unter einem fremden Einfluß. Er bewegte sich wie eine Marionette.
Die anderen Gäste merkten nichts. Sie waren mit ihrem Essen beschäftigt. Ab und zu lachte eine Frau schrill auf. Scherzworte wurden gewechselt.
Ein unbeschwertes Treiben. Und niemand ahnte, daß das Grauen schon unterwegs war.
Noch drei Tische trennten John und den Uniformierten voneinander. Tische, die alle besetzt waren.
An einem saß eine ganze Familie. Ein Elternpaar mit ihren zwei
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