GK0129 - Das Phantom von Soho
weiße Tablette rollte aus dem Röhrchen auf Superintendent Powells Handfläche. Der Mann nahm die Pille zwischen Daumen und Zeigefinger und schob sie zwischen die Zähne. In Ermangelung von Wasser kaute er mit säuerlichem Gesicht auf der Tablette herum und schluckte sie dann mit Todesverachtung herunter.
Das war schon die fünfte Tablette, die an diesem Abend den Weg in Powells Magen gefunden hatte. Seitdem der Superintendent die Nachricht bekommen hatte, daß John Sinclair ›tot‹ sei, hatte sein Magen verrückt gespielt.
Drei Ärzte kämpften um Sinclairs Leben. Unter anderem auch ein Toxikologe, ein Mann, der sich mit Giften beschäftigte. Die seltsame Starre des Geisterjägers konnte nur von einem Gift herrühren.
Superintendent Powell saß auf dem Gang. Mehrere Wartebänke standen nebeneinander. Sie waren braun gestrichen, kontrastierten zu den grünen Wänden. Eine Normaluhr tickte über der Tür, die zum OP führte, in dem die Ärzte jetzt um John Sinclairs Leben kämpften.
Vor einigen Minuten hatte Superintendent Powell bei den Conollys angerufen, um die beiden über den gegenwärtigen Stand zu informieren. Daß der Reporter bei dem Staatsanwalt war, beruhigte ihn, denn er hätte nicht gewußt, wer sich um Mansing kümmern sollte. Die Terroraktion am Hauptbahnhof hatte alles durcheinandergeworfen.
Eine hübsche Krankenschwester kam mit einem Teewagen den Gang entlanggefahren. Sie gehörte zur Station und wußte, wer Superintendent Powell war.
Vor Powell hielt sie den Wagen an. »Möchten Sie auch einen Schluck, Sir?«
»Ja, wenn Sie etwas übrig haben, Schwester.«
»Aber natürlich.« Die Schwester lächelte und schenkte eine Tasse ein. Powell leerte sie in einem Zug. »Sagen Sie, Schwester. Hat der Mann dort im OP noch eine reelle Chance? Ich meine, Sie sind doch auch nicht erst seit drei Tagen hier. Sie kennen doch den Laden.«
»Eine Chance gibt es immer, Sir. Man, hat dem Patienten den Magen leergepumpt, Blutuntersuchungen gemacht und was weiß ich noch alles.«
»Aber dieses verdammte Gift…«
»Es ist analysiert worden, Sir!«
»Was?« Powell sprang auf. »Dann ist ja alles wieder in Ordnung.«
»Nein, Sir, noch nicht. Der Name des Giftes ist zwar bekannt. Allerdings fehlt uns bisher das Gegengift, um die Wirkung des ersten Giftes aufzuheben.«
Powell sank wieder auf die Besucherbank zurück. »Verdammt«, knurrte er, und prompt mußte er wieder eine Magentablette nehmen. Er spülte sie mit einem Schluck Tee hinunter.
Die Schwester mußte weiter, und so war Powell wieder mit seinen trüben Gedanken allein.
Unerbittlich rückte der Uhrzeiger weiter vor. Noch wenige Minuten, dann war es 22 Uhr. Nur noch zwei Stunden bis Mitternacht.
Um Mitternacht hatte das Phantom von Soho schon einmal zugeschlagen. Aus dem Autopsiebericht ging eindeutig hervor, daß der ehemalige Richter Sir Hugh Crayton um Mitternacht gestorben war. Sollte Mansing das gleiche Schicksal widerfahren? Und war Bill Conolly überhaupt in der Lage, den Staatsanwalt zu schützen?
Selten hatte Superintendent Powell so pessimistisch in die Zukunft gesehen. Immer wenn er unmittelbar an einem Fall beteiligt war, spielten seine Nerven oder sein Magen verrückt.
Die Tür des OP schwang zurück. Professor Gardener, der Toxikologe, betrat den Gang.
»Ah, Sie sind ja noch immer hier, Superintendent«, sagte der Spezialist, hob seinen grünen Kittel hoch und suchte in der Hosentasche nach Zigaretten.
Er fand ein zerknautschtes Päckchen. »Ich brauch mal eine Zigarette«, sagte er und strich seinen buschigen Schnauzbart in Richtung der beiden Mundwinkel.
»Sagen Sie, Professor, hat John Sinclair eine Chance?« Powells Frage klang drängend. Es war zu spüren, welche Angst er um seinen besten Mann hatte.
Professor Gardener stieß den Rauch durch die Nase aus. »Er hat eine Chance«, erwiderte er. »Wir haben das Gift analysiert, und augenblicklich sind wir dabei,, das entsprechende Gegengift herzustellen. Der Destillationsvorgang dauert etwa noch eine halbe Stunde. Wenn dieses Mittel allerdings versagt, weiß ich auch keinen Rat mehr.«
Powell nickte verdrossen. Dann fragte er: »Was ist das für ein Gift gewesen, das man Sinclair eingegeben hat?«
»Ein Pflanzengift. Wir kennen es hier gar nicht. Es stammt aus Südamerika und wird von den Eingeborenen benutzt. Ich habe vor zwei Jahren einmal eine Reise nach Brasilien gemacht und die indianischen Gifte dort studiert. Daher ist mir dieses Toxin auch bekannt. Es hat
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