GK0141 - Irrfahrt ins Jenseits
um und ging weiter. Das hatte ihm gerade noch gefehlt, daß er mit solchen dummen Spukgeschichten belästigt wurde. Die Leute wurden wohl nie gescheit.
Wütend stampfte Leo Lunt die Straße hinauf. Sein Blick schweifte durch das Dorf und glitt auch über die Berge und Hügel, die es einrahmten.
Und dann sah er die Burg.
Die stand auf der Zinne eines Felsens. Selbst von seinem Standpunkt aus sah das Gemäuer drohend und unheimlich aus, und Leo Lunt konnte nicht vermeiden, daß ihm eine Gänsehaut über den Rücken kroch…
***
Fauchend pfiff der Wind um den Wachturm und fing sich in den Lücken des Zinnenkranzes. Der Turm ragte wie ein übergroßer dicker Bleistift vom Burghof hoch. Um den Hof herum zog sich die wuchtige dicke Mauer, mit den vier kleineren Wachtürmen, Wehrgängen und Schießscharten. In die Mauer eingefaßt war das Torhaus mit dem armdicken Fallgitter, dessen Stäbe nach unten spitz zuliefen. Die breite Zugbrücke hing in ihrer Verankerung. Sie würde erst wieder herunterfallen und den Torgraben überbrücken, wenn die Teufelskutsche unterwegs war.
Drohend stand die Burg auf dem Kegel des Berges. Nicht eine Fahne flatterte im Wind, kein Leben erfüllte die uralten Mauern, denn ein unseliger Geist hatte die Herrschaft über Rock-Castle.
Der Gesichtslose stand auf dem Turm und stemmte sich gegen den von Nordwesten kommenden Wind.
Weit im Westen ballte sich schon das fahle Grau der Dämmerung zusammen, und es würde nicht mehr lange dauern, dann hatten die ersten Ausläufer auch das Gebiet um Rockford Castle erreicht.
Der Gesichtslose lachte. Er freute sich auf die Dunkelheit, denn dann würde wieder die Teufelskutsche fahren und sich ein neues Opfer holen. Tief im Verlies der Burg wartete der Kelem auf ein frisches Opfer, auf das letzte Opfer, das brauchte, um seine Wiedergeburt feiern zu können.
Der Kelem war selbst in der Schwarzen Magie ein Phänomen.
Sein Geist war strikt vom Körper getrennt worden. Beide lebten, der Körper als Skelett und der Geist als Gesichtsloser. Gefährliche Beschwörungsriten hatten diesen Zustand erreicht, und niemand ahnte, daß der Gesichtslose und der Kelem ein und dieselbe Person waren. Gelang es nun, die beiden wieder zusammenzuführen, konnte die Schwarze Magie einen gewaltigen Triumph feiern. Denn dann wäre es nicht mehr schwer, die Toten aus den Gräbern zu holen und sie mit ihren früheren Seelen wieder zu vereinigen.
Eine schreckliche Vorstellung!
Noch ahnten die Menschen auf der Welt nichts davon. Noch wußten sie nicht, daß ihr Schicksal auf des Messers Schneide stand, daß sich die Entscheidung über Fortbestand oder Untergang auf Rockford-Castle entscheiden würde.
Der Gesichtslose war sich seines Sieges sicher. Wer sollte ihn jetzt noch aufhalten?
Natürlich gab es überall auf der Welt Menschen, die das Böse bekämpften, doch diese Streiter des Guten ahnten ja nicht, was sich über ihren Köpfen zusammenbraute. Sie waren abgelenkt, mit anderen Fällen beschäftigt.
Besonders zwei Männer fürchteten die Helfer der Schwarzen Magie besonders.
Oberinspektor Sinclair und Professor Zamorra!
Beide waren weit entfernt. John Sinclair saß in London und Professor Zamora auf Château de Montagne, im wildromantischen Tal der Loire. Diese Männer stellten keine Gefahr da.
Der Gesichtslose genoß das Gefühl, Macht zu besitzen. Macht über die Menschen dort unten in dem kleinen Dorf, das dazu ausersehen war, in das Weltgeschehen einzugreifen und der Schwarzen Magie zum Sieg zu verhelfen…
***
In London war das Wetter wesentlich schlechter als in Schottland. Ein unangenehmer Nieselregen hüllte die Millionenstadt ein und verwandelte den Schmutz auf den Straßen zu einem glitschigen Brei. Die Temperatur war gestiegen. Viele Menschen nahmen ihre jährliche Grippe.
Oberinspektor Sinclair gehörte nicht dazu. Seitdem dieses Wetter vor zwei Tagen begonnen hatte, krönte er sein morgendliches Frühstück jeweils mit einer Vitamin-C-Tablette. Er wollte nicht auch das gleiche Los erleiden wie sein Chef Superintendent Powell.
Der Alte war krank und lag zu Hause. Zum erstenmal, seit John Sinclair ihn kannte. Powell hatte sogar Fieber, was ihn jedoch nicht davon abhielt, mindestens viermal am Tag im Büro anzurufen und sich zu erkundigen, ob der Laden überhaupt noch liefe.
John konnte ihn jedesmal beruhigen.
Superintendent Powell war der Chef einer Sonderkommission, die sich mit okkulten, übersinnlichen Fällen befaßte. Die Kommission bestand
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