GK0157 - Zirkus Luzifer
Sinclair war das ganz recht. Die Wahrheit hätte er ihnen sowieso nicht sagen können. Sie hätten sie auch gar nicht begriffen.
***
Ilonkas Gesicht war eine Grimasse aus Wut und unbändigem Haß. Sie ahnte, daß ihre Schwester nicht mehr am Leben war, und das machte sie rasend. Außerdem war das schon sicher geglaubte rothaarige Opfer auch wieder entwischt.
Aber wer war dieser blondhaarige Teufel, den sie für ihre Niederlage verantwortlich machte?
Ein »normaler« Mann? Ein Polizeibeamter? Aber reagierten Sterbliche überhaupt so wie er? Spürten nicht die Menschen schon beim Anblick eines Vampirs nur Grauen und Entsetzen?
Die Untote dachte in ihren Maßstäben, rechnete nicht damit, daß es auch Leute gab, die Dämonen und Geistern den Kampf angesagt hatten.
Genau wie dieser blondhaarige Mann, bei dem alles anders gewesen war und der ihre Vorstellungswelt gesprengt hatte. Er hatte gekämpft und sich nicht geduckt.
So sehr die Untote auch grübelte, sie fand keine ausreichende Antwort auf ihre Fragen.
Die Stimmung im Wagen war hochexplosiv. Vier Leute waren für den Auftrag ausgesucht worden – und vier Leute hatten geradezu kläglich versagt. Der Mandarin würde toben. Andrax saß hinter dem Lenkrad und stierte durch die breite Scheibe, Lui Latero hockte neben ihm. Seine Lippen bewegten sich wie im Selbstgespräch. Er konnte noch immer nicht begreifen, daß seine Messer ihr Ziel nicht gefunden hatten. Das war Latero noch nie passiert. Aber alles war auch zu schnell und überstürzt gegangen. Jetzt hatte Latero natürlich eine höllische Angst vor dem Mandarin. Viel mehr als Andrax, der ja die passivste Rolle bei dem Überfall gespielt hatte.
Im Fond des Wagens geiferte die Untote. Ihr Trieb nach Blut war noch mehr angeheizt worden, und nur die Angst vor dem Mandarin hielt sie davor zurück, die beiden Männer vor ihr anzufallen. Die Hände der Untoten öffneten und schlossen sich. Sie hatte ihr Gesicht gegen die Scheibe gepreßt, sah die Menschen auf den Bürgersteigen, und ein unheimliches Knurren entrang sich ihrer Kehle.
Andrax fuhr zügig, aber nicht zu schnell Er wollte so rasch wie möglich aus der Londoner City verschwinden, hatte aber auch keine Lust, von einer Polizeistreife aufgehalten zu werden. Solch eine Begegnung hätte unter Garantie zu einer Katastrophe geführt, denn Ilonka war unberechenbar.
Der blondhaarige Mann sah zu, daß er auf die London-Road kam und sich so dem südlichen Stadtrand näherte. Der Zirkus hatte sein Zelt nahe dem kleinen Vorort Streatham aufgebaut, direkt an der Stadtgrenze. Es war ein Gebiet mit weiten Wald- und Wiesenflächen, aber mit einer günstigen Verkehrsverbindung zur City.
Auf der London-Road drehte Andrax auf, Die Untote auf dem Rücksitz benahm sich jetzt wie toll. Sie kreischte und schrie und hackte immer wieder ihre Fingernägel in die Polsterung der Sitze. Die beiden Vampirhauer berührten beinahe die Unterlippe, die Augen waren blutunterlaufen. Ilonka lechzte nach einem Menschenopfer.
Lui Latero wandte den Kopf. »Sei doch ruhig«, sagte er. »Wir sind bald da. Der Mandarin wird schon wissen, was mit dir geschieht.«
Die Vampirin gab keine Antwort, sondern tobte weiter.
Selbst der abgebrühte Latero hatte vor der Frau Angst. Die Vorstellung, daß sie in seinem Rücken saß, machte ihn nervös und ließ seine Nackenhaare zu Berge stehen.
Nach weiteren zehn Minuten Fahrt hatten sie den Vorort erreicht. Andrax bog in eine Nebenstraße ein, und schon bald tauchte das spitze Dach des Zirkuszeltes vor ihnen auf.
Der große Parkplatz war leer. Zwischen den Wohnwagen liefen einige Gestalten emsig hin und her. Sie waren mit Reparaturarbeiten beschäftigt.
Niemand nahm von den Ankömmlingen Notiz.
Andrax stoppte den Rover vor dem größten Wohnwagen. Hier hatte der Mandarin sein Domizil.
Der Wagen war doppelt so groß wie ein normaler und schwarz angestrichen. Die beiden großen Fenster waren mit dunklen Tüchern verhängt worden, so daß kein Tageslicht in das Innere des Wohnwagens dringen konnte.
Andrax, Latero und Ilonka stiegen aus.
Der blondhaarige Leibwächter des bestimmten Mandarins klopfte in einem Rhythmus gegen die Tür, die daraufhin nach wenigen Sekunden automatisch aufschwang.
Ilonka hatte sich zusammengerissen. Nur in ihren Augen funkelte noch die Gier.
Dunkelheit nahm die drei gefangen. Erst allmählich gewöhnten sich ihre Augen daran, und dann konnten sie die Umrisse des Mandarins erkennen.
Die Tür war wieder zugefallen, und
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