GK0157 - Zirkus Luzifer
Latero fiel der Vergleich mit einem rollenden Sarg ein.
Der Mandarin hockte in seinem hochlehnigen Sessel. Das rote M auf seiner Brust leuchtete wie ein Fanal. Keiner von seinen Dienern hatte je das Innere des Wohnwagens bei Licht gesehen. Immer nur herrschte die bedrückende Dunkelheit, die der Mandarin so liebte.
»Wo ist sie?« fragte er mit scharfer Stimme.
Andrax übernahm das Wort. »Die Frau ist uns entkommen, und Tanja ist wohl endgültig getötet worden.«
Der Mandarin tat nichts. Er tobte nicht und schrie auch nicht, sondern sagte gefährlich leise: »Berichte, Andrax.«
Was Andrax auch tat. Wortgetreu, genau das, was er aus Lateros und Ilonkas Erzählungen wußte.
Als Andrax geendet hatte, fragte er: »Wie sah der blonde Mann aus? Beschreibe ihn mir genau, Ilonka!«
Die Vampirin gehorchte. Man hörte ihrer Stimme an, daß sie nur mühsam die Wut unterdrücken konnte. Haßerfüllt stieß sie die Worte hervor, bis der Mandarin sie durch einen scharfen Befehl unterbrach.
»Ich weiß, wer dieser Mann ist«, flüsterte er. »Ich weiß es genau. Jeder Dämon kennt seinen Namen. Du hast dich mit John Sinclair, dem berühmten Geisterjäger, angelegt, Ilonka. Er hat deine Schwester auf dem Gewissen.«
Die Untote stöhnte auf. »Ich werde ihm das Blut aus seinen Adern saugen«, preßte sie hervor. »Ich will ihn leiden sehen, und dann – dann gehört er zu uns.«
Der Mandarin lachte kalt. »Vorsicht, übernimm dich nur nicht. An Sinclair haben sich schon andere die Zähne ausgebissen. Ein einzelner kann ihn kaum besiegen. Er kennt zuviele Tricks, aber gemeinsam sind wir stark. Sinclair wird herkommen, und dann werden wir ihm einen gebührenden Empfang bereiten. Ich lasse die Vorstellung heute abend nicht ausfallen. Zuviel steht auf dem Spiel. Es wird mein größter Triumph werden. Und Sinclair wird ihn erleben, als unser Gefangener. Aber was ist mit der Frau. Du hast ihr Blut geschmeckt, Ilonka?«
»Ja.«
»Gehört sie bereits zu uns?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nur einmal zubeißen können. Dann kam dieser Sinclair.«
Der Mandarin nickte, was die drei vor ihm Stehenden aber nicht sehen konnten. »Ich brauche die Frau, das ist euch doch klar. Und zwar jetzt mehr als vorher. Sie wird der Lockvogel für John Sinclair sein. Ich werde versuchen, mit ihr in geistigen Kontakt zu treten, um ihren momentanen Aufenthaltsort herauszufinden. Wenn das geschehen ist, wird sie freiwillig zu uns kommen. Dann kannst du sie haben, Ilonka!«
Die Untote lachte teuflisch. »Und John Sinclair«, flüsterte sie mit rauher Stimme…
***
John Sinclair hängte den Telefonhörer in die Halterung und tauchte unter der schallschluckenden Haube hervor. Um ihn herum pulsierte der Krankenhausbetrieb.
Die Holzschuhe der Schwestern klackten auf den mit Fliesen bedeckten Boden. Zwei Ärzte eilten mit wehenden Kitteln an John vorüber. Es roch nach Desinfektionsmitteln und Bohnerwachs. Über einer gläsernen Doppeltür hing eine Normaluhr. Stück für Stück schob sich der Minutenzeiger weiter.
Die Zeit verging… Eine ältere Schwester erkundigte sich bei dem Oberinspektor, ob sie ihm irgendwie behilflich sein könne.
John schüttelte den Kopf. »Nein, danke, ich warte auf Doktor Purdom.«
Purdom war der Arzt, der den Blutaustausch überwachte. John hatte ihn mit beschwörenden Worten auf die Dringlichkeit des Falles hingewiesen.
»Dann entschuldigen Sie«, sagte die Schwester und verschwand in einem Krankenzimmer.
Ein junger bärtiger Mann schob einen großen Geschirrwagen vor sich her. Teller, Bestecke und Suppentassen stapelten sich und klapperten gegeneinander.
Immer wieder blickte John auf die Uhr. Eine halbe Stunde war bereits vergangen. Es war Mittagszeit, und die Kranken hatten ihr Essen schon bekommen.
Dann endlich kam Doktor Purdom. Er blieb an der Doppeltür stehen und winkte John zu sich.
Der Oberinspektor lief auf den Arzt zu. »Haben Sie es geschafft, Doc?« fragte er hastig.
Der Arzt hielt John die Tür auf, damit er vorbeigehen konnte. »Ich hoffe es«, sagte er. »Wir haben das gesamte Blut der Frau ausgetauscht. Ich habe mich genau an Ihre Anweisungen gehalten, obwohl ich mich immer noch frage, welchen Grund das Ganze gehabt hat?«
John legte dem Arzt die Hand auf die Schulter. »Vielleicht werde ich Ihnen das einmal später erklären. Nur eins noch: vernichten Sie das alte Blut der Patientin.«
»Auch das werde ich machen, Mister Sinclair.« Der Arzt ging einige Schritte vor. »Kommen Sie, Sie
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