GK0160 - Die Totenkopf-Gang
verhindern können, daß Johns Hemd wie ein nasser Lappen am Körper klebte.
Der Oberinspektor war auf der Fahrt zu dem verlassenen Pier, wo man die beiden anderen Leichen gefunden hatte. Er wollte sich die Stelle noch einmal genau ansehen. Im Zeugenprotokoll hatte gestanden, daß die Gerippe plötzlich da gewesen und – laut Aussage von Killer-Pete – durch einen Kanaldeckel verschwunden waren. Das hatte Henry Graf bemerkt, als sie vom Ort des Grauens geflüchtet waren und er sich immer wieder umgesehen hatte.
John hatte vor der Abfahrt noch seinen Freund Bill Conolly angerufen und ihn auf später vertröstet, woraufhin Bill mit einem saftigen Fluch aufgelegt hatte.
Auch in der grellen Sonne machte der Pier einen trostlosen Eindruck.
Die verrosteten Ladekräne hoben sich wie kahle Totenfinger in den blauen Himmel. Verfallene Gebäude warteten auf den endgültigen Abriß. Überall war der Boden aufgerissen. Schlaglöcher klafften. Die Themse stank. Durch die offenen Fenster des Bentley drang der Geruch an Johns Nase.
John lenkte den Wagen neben das zerfallene Lagerhaus, in dem sich laut Zeugenaussage Henry Grafs Leibwächter versteckt hatten.
Als John ausstieg, traf ihn die Hitze wie ein Schlag. Dazu kam die drückende Schwüle, und nicht einmal vom Wasser her wehte ein kühles Lüftchen. John Sinclair hätte jetzt liebend gern mit einem Eskimo getauscht, doch weil dies nicht möglich war, machte er sich an die Arbeit.
Die Kreidestriche, mit denen die Beamten die Lage der Leichen fixiert hatten, waren noch nicht verwischt. John betrachtete sich die beiden Orte genau und sah auch den Krater, den die Handgranate gerissen hatte.
Er ging ein Stück weiter, kickte eine leere Konservendose zur Seite und stand schließlich vor dem Kanaldeckel, der der Beginn des Fluchtweges sein sollte.
Der Oberinspektor ging in die Knie. Er faßte in die Löcher des Deckels und versuchte ihn anzuheben.
Es ging ziemlich leicht.
Ein Beweis dafür, daß der Deckel vor nicht allzu langer Zeit hochgehoben worden war.
John legte den Deckel zur Seite und verzog das Gesicht. Bestialisch stinkende Luft war an seine Nase gedrungen. John hatte das Gefühl, der Magen würde ihm in die Kehle steigen.
Er blickte in den finsteren Schlund und hörte das Gurgeln und Schmatzen der Abwässer.
John zögerte. Hatte es überhaupt Zweck, in die Tiefe zu steigen?
Würde er dort unten vielleicht das Versteck der Knochenmänner finden? Möglich war es. Er beschloß, den Versuch zu starten. Er wollte sich hinterher keine Vorwürfe machen, nicht alles getan zu haben.
John wurde unwillkürlich an sein Abenteuer mit Dämonos erinnert.
Die Jagd auf diesen Superverbrecher hatte ihn auch in die Londoner Unterwelt geführt. Aber das lag schon über zwei Jahre zurück.
Sinclair stand auf und ging wieder zurück zu seinem Wagen. Er schloß ihn auf und entnahm dem Handschuhfach eine Taschenlampe und seine mit geweihten Silberkugeln geladene Pistole. Völlig waffenlos wollte er sich doch nicht in die Tiefe wagen.
John schloß den Bentley sorgfältig wieder ab. Auf den verlassenen Piers trieb sich oft lichtscheues Gesindel herum, das alles stahl, was nicht niet- und nagelfest war.
Der Geister-Jäger hängte sich die Taschenlampe in den Hosengurt und machte sich an den Abstieg. Eine in das Mauerwerk des Schachtes verankerte Trittleiter führte hinunter in die Tiefe. Die Leiter war mit fingerdickem Rost überzogen, und John hatte manchmal Angst, daß sie sein Gewicht nicht halten würde.
Doch er täuschte sich. Die Leiter hielt.
Schließlich spürte er festen, wenn auch glitschigen Boden unter den Füßen.
John hakte die Taschenlampe vom Gürtel los, knipste sie an und sah sich um.
Neben ihm gurgelte die schmutzig braune Brühe eines Hauptkanals.
Das Wasser stank erbärmlich, war angereichert mit Fäkalien und anderen unappetitlichen Dingen.
Zu beiden Seiten des Kanals befanden sich schmale Pfade, auf denen ein Mann gerade noch gehen konnte. Sie waren glitschig und wurden immer wieder vom Wasser überspült.
Fiepend huschten zwei fette Wasserratten an John Sinclairs Beinen vorbei.
Der Oberinspektor verzog angewidert das Gesicht. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann waren es Ratten. Er konnte sich die Richtung aussuchen, in die er gehen wollte. Wandte er sich nach rechts, so gelangte er bald zum Ufer der Themse. John war bekannt, daß noch manche Kanäle in den Fluß mündeten, trotz intensiver Umweltbemühungen. Und ehe hier Abhilfe geschafft
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