GK0215 - Die Rache des Kreuzritters
ignorierte das Gefühl.
»Ein Indianer kennt keinen Schmerz!« brummte er.
Rainer schlüpfte in seinen Bademantel. Er hing in dem alten schief stehenden Schrank, von dem der Holzwurm das rechte Hinterbein zernagt hatte. Überhaupt war auf dem Schloß alles baufällig – aber überraschend sauber.
Irgendein guter Geist mußte hier immer putzen.
»Vielleicht der Ritter mit dem Besen«, hatte Michael Kramer gesagt.
Das war überhaupt der einzige Satz, der über den geheimnisvollen Ritter gefallen war. Die vier jungen Leute hatten das Schloß in Besitz nehmen können, als sei es ihr Eigentum. Niemand hatte sie gestört. Zwei Tage und zwei Nächte hatten sie gefaulenzt und gefeiert. Der Kreuzritter war dabei in Vergessenheit geraten.
Rainer Schröder schaute aus dem Fenster.
Er hatte eine phantastische Sicht. Fern im Norden lag unter der heißen Sonnenglut die Stadt Straßburg. Wenn Rainer genau hinschaute, konnte er sogar das glitzernde Band des Rheins sehen, der Frankreich von Deutschland trennte. Die Wälder der Vogesen bildeten einen sattgrünen Teppich, davor die sanft ansteigenden Hügel der Weinberge, das strahlende Blau des Himmels und die kleinen verträumt wirkenden Orte machten die Gegend zu einer Postkartenidylle.
Rainer Schröder fühlte sich wohl. Und als er fünf Minuten später seine Morgengymnastik beendet hatte, fühlte er sich noch besser.
Irene Held schlief noch immer. Sie lag auf dem Rücken. Das Bettlaken war etwas verrutscht und gab die linke Brust frei. Rainer lächelte, trat ans Bett und hauchte Irene einen Kuß auf den Mund. Im Schlaf bewegte sie die Lippen, murmelte etwas und schlief dann weiter.
Leise verließ Rainer Schröder das Zimmer.
Er gelangte auf einen viereckigen Flur, von dem aus eine Wendeltreppe nach oben sowie nach unten führte. Auf dem nächsten Turmabsatz schliefen Michael und Paulette. Rainer dachte daran, seinen Freund zu wecken, ließ es dann aber bleiben. Ihm fiel rechtzeitig genug ein, daß Paulette Plura auch gern länger schlief und ungenießbar wurde, wenn man sie aus ihrem Schönheitsschlaf riß.
Die Wendeltreppe bestand aus Stein. Die Stufen waren noch ziemlich stabil, so daß keine Einsturzgefahr bestand. Das Geländer hatte Rost angesetzt.
Langsam und gähnend ging Rainer die Stufen hinunter. Er wollte in den Burghof, um sich zu waschen. Ein Brunnen mit kristallklarem Wasser befand sich dort.
Sechs Kehren waren es, bis Rainer Schröder den Ausgang des Turmes erreichte. Hier unten, gab es auch eine schmale Tür, die zu dem Hauptgebäude führte. Durch eine weitere Tür konnte man in den Burghof gelangen, und eine kaum zu erkennende Falltür führte in das Burgverlies.
Die vier Freunde hatten es noch nicht besichtigt. Aber irgendwann würden sie auch das machen.
Rainer Schröder ging nicht direkt auf den Burghof, sondern betrat den Haupttrakt. Er gelangte in den Rittersaal. Hoch wölbte sich die Decke über ihm. An den Wänden hingen verstaubte Monumentalgemälde. Sie zeigten Schlachten und Kampfszenen. In der Mitte des Rittersaals stand ein langer Tisch, davor klobige Sessel.
Staub bedeckte Tischplatte und Schemel. Das Glas der hohen Fenster war getönt, an einigen Stellen auch gesplittert, so daß ein paar schüchterne Sonnenstrahlen ins Innere des Rittersaales fallen konnten.
Die vier Freunde hatten die Burg erkundet. Vom Rittersaal aus gelangte man in das Herrenzimmer und von dort weiter in die Gemächer der Damen. Dahinter lagen die Räume der Domestiken, bevor es dann in den Seitentrakt ging, in dem sich die Vorrats- und Waffenkammern befanden.
Gedankenversunken betrachtete Rainer die Gemälde an der Wand. Jedes Detail nahm er in sich auf – und stutzte plötzlich.
Er hatte den Kreuzritter gesehen!
Deutlich war er auf dem Bild zu erkennen.
Rainer lief eine Gänsehaut über den Rücken. Die Farben waren in den Jahrhunderten kaum verblaßt, der Kreuzritter stand vor ihm, als würde er leben.
Es war ein schauriges Gemälde. Zu Dutzenden lagen Leichen auf blutgetränkter Erde. Im Hintergrund waren die Spitzen einer Moschee zu sehen. Mitten im Schlachtgetümmel stand der Kreuzritter. Er hielt Pfeil und Bogen in der Hand und schoß auf angreifende Mauren, die reihenweise von ihren Pferden gefallen waren. Die Augen des Ritters blitzten, der Mund war zu einem grausamen Lächeln verzogen.
Ein Held, dieser Mann?
Rainer Schröder wagte es zu bezweifeln. Ihm kam der Ritter wie ein gnadenloser Mörder vor.
Der junge Schriftsteller war so in den
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