GK0215 - Die Rache des Kreuzritters
jedoch nicht auf ihre Gespräche. Automatisch leerte er seinen Becher und nahm auch nicht bewußt wahr, daß Paulette nachschenkte. Sein Blick streifte die Fassade der Burg. Ein großer Teil des Mauerwerks war sehr brüchig. Spalten und Risse deuteten es an. Moos und Efeu wucherten darin. Vögel hatten dort ihre Nester gebaut. Für sie waren diese Spalten ideal.
Am stabilsten war noch der Turm mit seinem Wehrgang auf der Spitze. Die Mauer oben auf dem Turm war etwa brusthoch und in unregelmäßigen Abständen von Schießscharten unterbrochen.
Immer wieder mußte Rainer Schröder an den Kreuzritter denken und an dessen Warnung. Sollte er den anderen sagen, was er erlebt hatte? Nein, lieber nicht. Sie würden ihn nur auslachen. Keiner von ihnen sollte die Nacht überleben. Rainer Schröder hatte auch schon an Flucht gedacht. Sich einfach still und heimlich abzusetzen. Aber dann hatte er den Gedanken wieder verworfen. Es wäre feige gewesen, und das war auch nicht seine Art. Nein, er hatte sich zu einem Entschluß durchgerungen. Er wollte dem verfluchten Ritter die Stirn bieten. Schließlich wußte er, wann der Kreuzritter angriff. In der nächsten Nacht.
Rainer hatte sein erstes Würstchen bereits aufgegessen und machte sich daran, in das zweite zu beißen, als er die Gestalt sah.
Sie stand auf dem Turm und hob drohend die rechte Faust mit dem Schwert.
Rainer Schröder sprang auf wie von der Tarantel gestochen. »Da«, rief er, »da oben. Der Kreuzritter!« Sein linker Arm schnellte vor. Der ausgestreckte Zeigefinger deutete zum Turm hoch.
»Ja, seht ihr ihn denn nicht?« schrie er. »Er steht doch da und…«
Rainer Schröder blieben die letzten Worte im Hals stecken. Nichts war mehr zu sehen von dem geheimnisvollen Kreuzritter. Von einer Sekunde zur anderen war er verschwunden.
Rainer Schröder sank wieder zurück. Er schüttelte den Kopf, konnte nichts begreifen. Die beiden Würstchen waren vom Teller gerollt und lagen auf der Erde. Ungenießbar. Rainer hatte auch den Pappbecher umgekippt. Der rote Wein war ausgelaufen. Er sah aus wie Blut, das langsam im Boden versickerte.
Michael Kramer sah seinen Freund kopfschüttelnd an. »Bist du eigentlich übergeschnappt?« fragte er. Sein Ton war ziemlich scharf, und Rainer zuckte zusammen. »Du hast wohl ‘nen Sonnenstich, wie? Solch einen Mist zu erzählen.«
»Ich habe ihn aber gesehen«, knurrte Rainer Schröder kehlig.
»Ach, hör doch auf.«
»Hältst du mich für einen Lügner?« Schröder sprang auf.
»Schluß jetzt!« Irene Held mischte sich ein. »Und du hältst auch deinen Mund, Michael. Das ist ja schrecklich. Ihr benehmt euch ja schlimmer als die kleinen Kinder. Was sagst du dazu, Paulette?«
Paulette Plura nickte. »Ich finde es auch komisch.«
Rainer Schröder schlug beide Hände gegen seine Oberschenkel. »Ja, ja, ihr findet es komisch. Alle finden es komisch, ich weiß. Aber ich habe diesen Kreuzritter gesehen. Darauf könnt ihr euch verlassen. Er stand oben auf dem Turm.«
»Mit oder ohne Gaul?« fragte Michael Kramer grinsend.
Das war zuviel für Rainer Schröder. Ehe ihn irgend jemand daran hindern konnte, stürzte er vorwärts und drosch Michael Kramer beide Fäuste gegen die Brust.
Es waren überraschende Schläge, die Michael mitbekam. Er flog zu Boden und schlug hart mit dem Hinterkopf auf. Schmerzhaft verzog er das Gesicht. Ehe sich Rainer Schröder jedoch zum zweitenmal auf ihn stürzen konnte, waren die beiden Mädchen da. Gemeinsam hielten sie ihn fest.
»Hast du denn völlig den Verstand verloren?« schrie ihn Irene an. »Wir sind zusammen in Urlaub gefahren, um uns zu erholen, aber nicht, um uns gegenseitig umzubringen. Hoffentlich geht das endlich in deinen Schädel hinein.«
Rainer Schröder spuckte aus. Dann drehte er sich abrupt um und hockte sich schweigend neben die kleine Feuerstelle.
Michael Kramer stand mit verzerrtem Gesicht da. Er hatte seine Hände in Höhe des Magens auf den Leib gepreßt. Paulette Plura stützte ihn. Dabei warf sie Michael einen mitleidigen Blick zu, »Tut’s noch weh?« fragte sie leise.
»Es geht.« Michael schüttelte den Kopf. »Ich war ja selbst schuld. Ich habe mich gehen lassen und ihn zu sehr gereizt.« Er ging auf Rainer Schröder zu und streckte ihm die Hand hin. »Tut mir leid«, sagte er.
Rainer blickte auf die dargebotene Rechte. Dann lächelte er. »Schon gut, Michael, ich hab ja angefangen.«
»Es ist immer besser, wenn man sich verträgt«, sagte plötzlich jemand im
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