GK083 - Der Henker aus dem Totenreich
konnte Herrmann Wolf aufsuchen. Etwas drängte mich, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen.
***
Wolf hatte schlecht geschlafen. Eigentlich hatte er kaum ein Auge zugetan. Die Mordkommission war lange in seiner Wohnung geblieben.
Als die Polizeibeamten endlich das Feld geräumt hatten, hatten sie auch Slim Colby und Kirsten mitgenommen.
Nach all dem Trubel war er plötzlich ganz allein in seinem Apartment gewesen.
Unaufhaltsam bewegten sich die Zeiger des Elektroweckers weiter.
Er drehte sich seufzend von ihm weg, denn er wollte nicht an die Zeit erinnert werden.
Aber auf der anderen Seite schien ihm die tief stehende Novembersonne grell ins Gesicht.
Zu alledem gesellte sich auch noch das Klingeln des Telefons.
So, als hätte er zerschmetterte Knochen im Leib, kämpfte er sich hoch.
»Wolf!«, sagte er mit krächzender Stimme.
»Ich bin’s! Slim!«, kam es aus dem Hörer.
»Ach, Slim.«
»Ich dachte, ich muss mich um dich kümmern, Herrmann…«
»Nett von dir, Slim.«
»Bist du okay?«
»Ich bin vollkommen fertig.«
»Du hast nicht geschlafen, wie?«
»Nein.«
»Ist zu verstehen.«
»Als ihr weg wart, habe ich wieder zu trinken angefangen.«
»Du hattest doch schon genug.«
»Weiß ich doch. Aber mir war nach Trinken zumute. Was hätte ich denn machen sollen.«
»Hör mal, Herrmann, wenn du irgendetwas brauchst… Wenn ich dir irgendwie helfen kann …«
»Riesig nett von dir, Slim«, gab der Deutsche benommen zurück. »Aber ich brauche niemandes Hilfe. Damit muss ich allein fertig werden. Es wird lange dauern, aber ich werde darüber hinwegkommen.«
»Wie du meinst. Wie gesagt. Wenn du etwas brauchst, lass es mich wissen. Ich bin jederzeit für dich da, klar?«
»Danke, Slim. Du bist nicht nur ein großartiger Maler. Du bist auch ein großartiger Mensch.«
Nach dem Gespräch stellte sich Wolf unter die kalte Dusche. Er versprach sich einige Belebung davon. Das kalte Wasser ließ ihn zittern und mit den Zähnen klappern. Aber hinterher fühlte er sich tatsächlich ein wenig besser. Er aß nichts, trank russischen Tee, mied den Alkohol.
Während er noch überlegte, was er unternehmen sollte, schlug das Telefon erneut an.
Er setzte sich wieder in den Sessel, griff sich den Hörer, der nun nicht mehr so schwer war, und meldete sich mit seinem Namen.
»Wie sieht’s aus, Wolf?«, fragte eine Stimme, die der Deutsche wie die Pest hasste. Sie gehörte dem Mann, der sein Geld wiederhaben wollte. »Wie stehen die Aktien? Haben Sie schon etwas unternommen?«
»Es ist noch nicht Samstag!«, bellte Wolf ungehalten.
»Man wird doch noch fragen dürfen«, lachte der Mann ölig. »Kann ich am Samstag mit meinem Geld rechnen?«
»Ich sagte Ihnen schon mal, dass es mir nicht möglich sein wird…«
»Und ich sagte Ihnen, dass das für Sie äußerst unangenehme Folgen nach sich ziehen würde!«, fiel der Anrufer dem Galeriebesitzer scharf ins Wort. Wolf schloss die Augen.
»Hören Sie, ich bin heute wirklich nicht in der Stimmung, mich mit Ihnen herumzustreifen. Tun Sie, was Sie wollen!«
»Was ist denn das für ein Ton, Wolf?«
»Ach, lecken Sie mich doch…«
»Wolf!«
»Geben Sie mir noch einen Monat!«, verlangte der Deutsche.
»Wie komme ich dazu?«
»In einem Monat kann ich Ihnen Ihr Geld auf jeden Fall zurückzahlen. In einem Monat werde ich Geld haben. Genug Geld.«
»Und woher käme dieser unerwartete Goldregen?«
»Kirsten, meine Frau, sie wurde heute Nacht… ermordet.«
»Beileid!«, sagte der Mann ohne jegliches Mitgefühl.
»Sparen Sie sich das, Sie Blutsauger!«, gab Wolf giftig zurück. »Die Versicherung wird mir die Lebensversicherungssumme ausbezahlen, die mir nach dem Tod meiner Frau zusteht. Aber das geht auf keinen Fall bis Samstag.«
Der Mann schwieg kurz. Er dachte nach. Als er zu einem Ergebnis gekommen war, sagte er: »Gut, Wolf. Das sind natürlich Aspekte, die man beachten darf. Ich werde also warten, bis Sie das Geld von der Versicherung ausbezahlt bekommen. Aber keinen Tag länger, hören Sie? Keinen Tag länger!«
Wolf legte seufzend auf.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass es ihm gelingen würde, diesen Aufschub herauszuholen.
Nun war ihm mit einem Mal merklich wohler.
***
Stier Nummer fünf war ein tief schwarzer Bulle mit fünfhundertzweiundzwanzig Kilogramm. In der Plaza de Toros Monumental tobten die Zuschauer.
Der mutige Matador bereitete sich auf eine giraldina vor. Das ist ein Manöver, das auch unter der Bezeichnung manoletina geführt
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