GK178 - Das Haus der Verdammten
Leichnam allein. Sie redete mit ihm. Was sie sagte, war durch die Tür nicht zu verstehen. Als sie das Krankenhaus schließlich verließ, wußte sie den Grund für Oliver Blenfords Tod, und sie war davon überzeugt, daß die Ärzte nicht finden würden, was ihn umgebracht hatte.
So war es dann auch.
***
Zwei Tage danach wurde die Leiche für die Beerdigung freigegeben. Clarissa hatte inzwischen alle nötigen Vorbereitungen für die Feuerbestattung getroffen. Der Sarg wurde zum Krematorium übergeführt. Die schmucklose schwarze Kiste stand in der kahlen Aufbahrungshalle. Es gab keine Blumen, keine Kränze, keine letzten Grüße… Ein einziger Trauergast war anwesend: Clarissa Blenford. Sie stand mit düsterer Miene vor dem Sarg. Im Hintergrund der Aufbahrungshalle stand ein schmales Harmonium. Ein Blinder spielte darauf. Er war alt, hatte eisengraues Haar, trug eine schwarze Brille — und wenn er eines Tages nicht mehr hierherkommen konnte, würde man ihn durch ein Tonband ersetzen, das die Trauermusik abspielte.
Stumm starrte das Mädchen den schwarzen Sarg an.
Lag ein Vorwurf in ihren meergrünen Augen?
Sie war damit nicht einverstanden, daß sich ihr Vater auf diese Weise aus dem Staub gemacht hatte. Er hatte sie allein gelassen, und das ärgerte sie. Es war nicht nötig gewesen, die Welt zu verlassen. Oliver Blenfords Kraft und Vitalität hätten noch zwanzig Jahre vorgehalten. Er hatte sich davongestohlen, ohne es Clarissa zu sagen, und das machte sie wütend. Nun stand sie allein im Leben, sie konnte mit niemandem mehr über ihre Probleme sprechen, würde an den kommenden langen Winterabenden niemanden mehr um sich haben. Sie fühlte, daß es lange Zeit dauern würde, bis sie sich an die Einsamkeit gewöhnt hatte.
Einfühlsam spielte der Blinde auf dem Harmonium seine Trauerlieder.
Seit fünfundzwanzig Jahren machte er das nun schon.
Eigenartig, daß er heute von einem so seltsamen, unangenehmen Gefühl beschlichen wurde. Er hatte eine Gänsehaut. Eine rätselhafte Beklemmung hockte in seiner Brust. Sein Herz schlug unruhig. Irgend etwas machte ihm Angst. Vielleicht der Tote im Sarg? Der Tod hatte für den Blinden nichts Schreckliches an sich. Es mußte ihn geben, damit neues Leben erblühen konnte. Und es mußte ihn geben, damit sich Leute wie er am Harmonium ein bißchen Geld verdienen konnten. Woher aber kam dieses unheimliche Gefühl, das dem Blinden die Seele fast erstickte?
Langsam sank der Sarg in die Tiefe.
Clarissa blickte der schwarzen Holzkiste so lange nach, bis sich der Boden, der auseinander gefahren war, darüber wieder zusammengeschoben hatte.
Ein schwarzgekleideter Mann stand plötzlich neben ihr. Er kondolierte ihr. Sie wußte, daß er ein Angestellter des Krematoriums war.
»Wann wird er verbrannt?« fragte Clarissa mit fester Stimme.
»In wenigen Minuten.«
»Ich möchte dabei Zusehen!« sagte das Mädchen.
Der Mann leckte sich die Lippen. Aus dem Munde eines Mädchens war ein solcher Wunsch reichlich ungewöhnlich. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Miß Blenford«, sagte er, während er Clarissa mit einem befremdeten Blick musterte. Sie nickte und ging mit ihm. Ein kleiner Fahrstuhl brachte sie zur Leichenverbrennungsanlage. Clarissa begegnete dem Sarg ihres Vaters wieder. Er stand auf einer metallenen Höllenstraße, die in den Verbrennungsofen führte.
Kalter Marmor kleidete die Wände.
»Hier entlang, Miß Blenford«, sagte der schwarz gekleidete Krematoriumsangestellte.
Vor einer Glasfront blieb er stehen.
Clarissa blickte ihn abwartend an. »Nun?« sagte sie eisig.
»Es ist nicht immer ein schöner Anblick…«
»Ich kann ihn ertragen!« behauptete das Mädchen mit schmalen Lippen.
»Wie Sie meinen«, gab der Mann zurück. Er drückte auf einen roten Knopf. Der Ablauf der Verbrennung setzte ein. Aus Tausenden Düsen schlugen mit einemmal Flammen. Der Sarg fuhr in den Ofen. Die Flammen leckten über ihn, wurden länger, entwickelten eine unwahrscheinliche Hitze. Wie Zunder brannte der schwarze Brettersarg innerhalb weniger Augenblicke.
Der Mann neben Clarissa zog sich diskret zurück.
Jetzt zerbrach der brennende Sarg. Die Umrisse des Leichnams waren zu erkennen. Auf eine unheimliche Weise schien der Tote zu neuem Leben erwacht zu sein. Oliver Blenfords Körper bäumte sich in dieser enormen Hitze jäh auf. Sein Leib war von Flammen bedeckt. Sie tanzten über seinen ganzen Körper und fraßen sich gierig in ihn hinein.
Plötzlich weiteten sich Clarissas
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