GK178 - Das Haus der Verdammten
eine spezielle Art angezogen, erwarten von einem rothaarigen Mädchen Feuer in der Seele und eine alles versengende Leidenschaft. Hin und wieder kommt es jedoch selbst heute noch vor, daß man einem rothaarigen Mädclien hinter der vorgehaltenen Hand nadisagt, es könne eine Hexe sein. Von Clarissa Blenford wurde dies zum Beispiel behauptet.
Das Taxi blieb vor dem Hospital stehen. Clarissa bezahlte den Fahrpreis und betrat dann das Krankenhaus.
Das Gewitter, das um die Mittagszeit so heftig getobt hatte, war abgezogen. Ein bleigrauer Himmel hing jedoch nach wie vor über der Stadt. Man schrieb den 18. Oktober, und der bevorstehende Winter streckte zum erstenmal seine kalten Frostfinger nach London aus. Der Portier hob den Blick von der Zeitung.
»Zu Dr. Balgey«, sagte Clarissa ernst.
Der Mann erklärte ihr den Weg. Ohne sich zu bedanken, wandte sich Clarissa um und stieg gleich darauf in einen dumpf polternden Paternoster. Später hallten ihre Schritte über den Fliesenboden des Korridors. Obwohl Nick Balgeys Dienst schon zu Ende war, hielt er sich immer noch im Krankenhaus auf. Das hing mit dem seltsamen Ableben des Patienten Oliver Blenford zusammen. Diese böse Halluzination ging dem Arzt nicht aus dem Kopf. Immer wieder fiel Balgey ein, wie spöttisch Blenford gegrinst hatte. So, als wollte er sagen: »Siehst du, nun habe ich es doch geschafft. Was ist eure ärztliche Kunst gegen die Allmacht, des Teufels.«
Clarissa klopfte an die Tür, vor der sie stehengeblieben war, und wartete.
»Ja. Herein!« rief ein Mann dahinter.
Das rothaarige Mädchen trat ein. Clarissa war achtundzwanzig Jahre alt. Gewiß hatte es Männer in ihrem Leben gegeben, jedoch keiner hatte es geschafft, ihr Herz zu erobern. Der letzte, der es bisher versucht hatte, hatte hinterher behauptet: »Clarissa? Die hat doch überhaupt kein Herz. Es stimmt schon, was man von ihr sagt. Sie ist eine Hexe. Nur den Satan kann sie wirklich innig lieben. Bei einem Mann jedoch ist sie so kalt wie Eis.«
Ihre Miene war düster, als sie in jenes Zimmer trat, in dem Dr. Balgey auf sie wartete. Das Kostüm, das sie trug, war grau und schlicht, vermochte aber trotzdem nichts von ihrer makellosen Figur zu verbergen. Sie reichte dem Arzt ihre Hand, die beinahe ebenso kalt war wie die ihres verstorbenen Vaters. Nick Balgey bot ihr Platz an. Sie setzte sich. Ihre Lippen preßte sie fest aufeinander.
»Mein Beileid«, sagte der Arzt.
Clarissa nickte stumm. Balgey bewunderte sie. Sie hatte sich hervorragend unter Kontrolle.
»Möchten Sie etwas trinken, Miß Blenford?«
Clarissa schüttelte den Kopf. Ihre meergrünen Augen suchten den Blick des Arztes. Ihre Pupillen wurden zu Fragezeichen.
Unwillkürlich zuckte Balgey die Achseln. »Offen gestanden, ich stehe vor einem Rätsel, Miß Blenford. Es war eine einfache Operation. Geradezu harmlos. Heutzutage stirbt man kaum mehr an einer Blinddarmoperation. Ich meine, wenn man rechtzeitig zum Arzt geht und wenn man über eine so kräftige Konstitution verfügt wie Ihr Vater. Es gab weder während der Operation Komplikationen noch danach. Der Genesungsverlauf war geradezu vorbildlich. Wie sie wissen, wollten wir Ihren Vater morgen nach Hause schicken. Noch nie ist in unserem Krankenhaus ein Mensch so unerwartet gestorben, wie Ihr Vater, Miß Blenford.«
Nun seufzte das rothaarige Mädchen. »Vielleicht wollte er nicht mehr leben.«
Dr. Balgey lachte nervös. »Ich bitte Sie, dieses Nicht-mehr-leben-Wollen genügt bei einem gesunden Menschen doch nicht fürs Sterben. Und Ihr Vater war gesund. Sein Tod war für uns alle ein Blitz aus heiterem Himmel.«
Clarissa schloß für einen Moment die Augen. Ich weiß, woran er gestorben ist! dachte sie. Aber sie behielt dieses Wissen für sich.
Dr. Balgey wunderte sich, daß das Mädchen nicht weinte. »Ihr Vater muß obduziert werden«, sagte der Arzt leise. »Wir müssen wissen, woran er gestorben ist.«
»Er starb, weil er sterben wollte.«
»Wir werden herausfinden, was ihn das Leben gekostet hat, Miß Blenford.«
»Ich mag nicht, daß Sie an ihm herumschneiden!« zischte das Mädchen zornig.
Nick Balgey hob die Schultern. »Tut mir leid, Miß Blenford, aber in solch einem Fall ist dies unumgänglich.«
Sie bekam die wenigen Habseligkeiten ihres Vaters. Man hatte alles in einen Karton getan. Clarissa mußte mit ihrer Unterschrift bestätigen, daß man ihr die Habe des Toten ausgehändigt hatte. Danach wollte sie ihn sehen. Man ließ sie fünf Minuten mit dem
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