GK266 - Die weiße Göttin
Schach halten und dann Alarm schlagen, damit Sadie herunterkam und die Polizei anrief?
Es wird sich alles finden, dachte George Gordon.
Er gelangte an die halb offene Tür.
Ein eigenartiges Prickeln war in seinen Händen. Er fühlte sich kraftlos. Die Schrotflinte schien zentnerschwer zu sein.
Vorsichtig legte sich seine Hand auf die Tür.
Gleich würde er es wissen.
Er drückte sachte gegen das Holz. Die Tür schwang zur Seite. Sofort war das milchige Leuchten verschwunden. Gordon spürte, wie es ihn kalt überlief. Sein Gesicht verkantete.
»Wer ist da?« fragte er rauh in die Dunkelheit hinein.
Stille.
Er wollte Licht machen.
Im selben Moment passierte es. Aus der Finsternis heraus sprang ihn eine Gestalt an. Nicht größer als er, schlank, aber ungemein wendig. Er bekam einen Schlag, der ihn niederstreckte. George Gordon krümmte den Rücken, rollte ab und kam wieder auf die Beine.
Seine Schrotflinte schwang hoch, ehe die Gestalt ihn ein zweitesmal attackieren konnte.
Die Waffe donnerte los.
Und obwohl George Gordon sicher war, getroffen zu haben, zeigte die Gestalt nicht die geringste Wirkung. Diese Tatsache steigerte Gordons Angst ins Uferlose…
***
Sadie träumte von England – von der Tower Bridge, von der Themse, von den Houses of Parliament, von allem, was sie so gern mal wiedergesehen hätte. Sie sah sich mit George Hand in Hand die Straße in Richtung Picadilly Circus entlanggehen, kaufte in der Carnaby Street ein…
Und plötzlich zerfetzte ein Schuß ihren Traum.
Keine Fehlzündung bei einem der Wagen, die durch Sadies Traumstraßen rollten, sondern ein Schuß. Nicht in London, sondern hier!
Sie schreckte hoch und blickte sich verwirrt um. Ihr Herz klopfte wie wild. Sie wollte George wecken, doch George lag nicht in seinem Bett. Er hatte das Schlafzimmer verlassen.
Hatte er geschossen?
Sadie sprang aus dem Bett. Sie raffte ihren Schlafrock auf und schlüpfte umständlich in die Ärmel. Barfuß eilte sie zur Tür. Wo war George? Was hatte dieser Schuß zu bedeuten?
Unschlüssig stand sie vor der Tür. Sie wagte sie nicht zu öffnen. Unten war Kampflärm zu hören. Und dann fiel abermals ein Schuß. Sadie zuckte so heftig zusammen, als wäre sie getroffen worden.
»Großer Gott!« keuchte sie.
Gleichzeitig riß sie nun doch die Tür auf und klatschte ihre Hand sofort rechts auf den Lichtschalter.
Die kleine Halle, die Treppe, alles war nun erhellt.
»George!« schrie Sadie in Sorge um ihren Mann. Sie eilte zur Brüstung und blickte hinunter.
Was sie dann sah, ließ ihren Atem stocken…
***
Die Gestalt war ein Mädchen. Eine Weiße. Sie kam mit katzenhaften Schritten auf George Gordon zu. Ihre Augen funkelten böse. Sie zog die Oberlippe hoch und fletschte die Zähne.
»Leg das Gewehr weg!« verlangte sie zischend von Gordon.
Der Brite umklammerte die Waffe mit beiden Händen. »Wer sind Sie? Was haben Sie in meinem Haus zu suchen?«
»Leg die Flinte beiseite!« verlangte das Mädchen noch einmal.
Gordon richtete den Doppellauf der Waffe auf ihre Brust. »Wenn Sie noch einen Schritt näherkommen, schieße ich!«
Sie lachte gemein und machte den verbotenen Schritt. In seiner namenlosen Panik drückte Gordon ab. Der ohrenbetäubende Knall wummerte durch das Haus. George hörte Sadie seinen Namen rufen, nachdem in der Halle das Licht aufgeflammt war.
Er wollte ihr zurufen, sie solle sofort wieder ins Schlafzimmer gehen und sich dort verbarrikadieren, doch da sprang ihn das Mädchen an, und er mußte sich auf den Kampf konzentrieren.
Sie versetzte ihm einen brutalen Faustschlag, der ihn aus dem Wohnzimmer beförderte. Er krachte draußen in der Halle gegen die Wand.
Bara, die weiße Göttin – um niemanden sonst handelte es sich –, setzte augenblicklich nach. Mit einem weiteren Schlag entwaffnete sie George Gordon. Oben faßte sich Sadie bestürzt an die pochenden Schläfen. Sie kreischte, und sie wollte ihrem Mann zu Hilfe eilen.
Da trat Bara einen Schritt zurück. Sie atmete tief ein und stieß die Luft dann mit großer Kraft wieder aus. Das gab einen Sturm, wie ihn Sadie Gordon noch nicht erlebt hatte.
Die junge Frau wurde davon erfaßt und zurückgeschleudert. Sie kreischte und jammerte. Sie kämpfte gegen den Sturm an. Ihr Haar und das Nachthemd flatterten wie Fahnen. Sadie stemmte sich gegen den Sturm, der sie mehr und mehr zurücktrieb.
Atemlos kämpfte sie um einen festen Stand.
Sie rutschte mit den Füßen unter den Boden.
Sie ruderte mit den Armen. Es
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