GK266 - Die weiße Göttin
Mombasa.
Wenig später fuhren wir am Dauhafen vorbei. Er liegt im Osten der Stadt, hat aber kaum noch Bedeutung, denn wegen seiner geringen Wassertiefe wurde im Westen ein moderner Überseehafen, der Kilindini-Hafen, ausgebaut. Dennoch segeln immer noch kleine Schiffe von Arabien, Persien und Indien zum alten Hafen von Mombasa.
Der Lkw stoppte.
Wir sprangen von der Ladefläche. Der Fahrer sagte uns, er wäre am Ziel. Es war nun nicht mehr weit bis zum Azania Drive, aber wir bestiegen trotzdem ein Taxi.
Als wir das Oceanic-Hotel betraten, musterte man uns mit scheelen Blicken. Kein Wunder, wir sahen nicht gerade salonfähig aus. Ich nannte dem Mann hinter dem Rezeptionspult meinen Namen.
Seine Brauen schnappten nach oben. »Ah, Mr. Ballard. Ihr Gepäck wurde bereits abgeliefert.«
»Von einem Taxi-Driver?« fragte ich schnell.
»Ja, Sir.«
»Hat der Mann irgend etwas gesagt?«
»Nein, Sir.«
Ich wollte wissen, was der Taxifahrer auf den Hotelangestellten für einen Eindruck gemacht hatte.
»Er wirkte ängstlich und verstört. Er übergab uns das Gepäck und sauste wie ein Pfeil wieder aus dem Hotel«, berichtete der Rezeptionsmann. Er betrachtete unsere schmutzigen Kleider. »Ich nehme an, es ist etwas passiert.«
Ich nickte mit zusammengezogenen Brauen. »Das kann man wohl sagen. Mitglieder der Kaiman-Bande haben unser Gepäck geklaut. Wir verfolgten sie, bekamen unser Gepäck wieder, wollten uns die Diebe schnappen, und während wir darangingen, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen, wurde Miß Bonney gekidnappt.«
Der Hotelangestellte hielt die Luft an. »Nein…«
»Deshalb wundert es mich, daß der Taxifahrer nur das Gepäck abgeliefert hat, Sie aber nicht bat, die Polizei zu verständigen.«
»Das werden wir sofort nachholen«, sagte der Rezeptionsmann und griff nach dem Telefonhörer.
»Jetzt ist das nicht mehr nötig«, erklärte ich und legte meinen Zeigefinger auf die Gabel. »Wir wurden mit den Kerlen auch ohne die Hilfe der Polizei fertig.«
Der Mann schaute uns verblüfft an. So etwas schien vor uns noch niemand geschafft zu haben. Wir bekamen unsere Schlüssel und begaben uns auf unsere Zimmer. Nachdem wir ausgiebig geduscht hatten, ließ ich einen Boy kommen, der unsere schmutzigen Kleider zur Reinigung brachte.
Anschließend schaute ich nach, ob sich noch alle meine Waffen in meiner Bereitschaftstasche befanden. Es fehlte nichts. Ich fühlte mich allmählich wieder etwas wohler.
***
Tags darauf wollte mich ein mittelgroßer Mann mit unregelmäßigen Zähnen und einer wettergegerbten, rostroten Haut sprechen. Sein Name war George Gordon, wie er mir sagte.
»Ich bin Brite und fühle mich auch so, obwohl ich schon seit einer kleinen Ewigkeit in Kenia lebe«, erzählte er. Vicky und Mr. Silver waren anwesend. Wir saßen in der Bar beisammen. Ich trank Pernod. »Ich arbeite in diesem Land als Fremdenführer.« Gordon blinzelte. »Ich habe da ein paar Hotels, mit denen ich zusammenarbeite. Gewisse Leute bekommen von mir ein bißchen Geld, wenn sie mich dafür auf neu angekommene Touristen aufmerksam machen. Diesen Leuten biete ich dann meine Dienste an. Ich kenne Kenia wie meine Westentasche. Ganz Ostafrika habe ich schon x-mal durchkreuzt. Wollen Sie die vielfältige Vogelwelt kennenlernen, die, oft bunt und abenteuerlich gefärbt, Wälder, Savannen, Meeresküsten, Flußläufe und die Ufer der Seen belebt? Ich bringe Sie hin. Oder interessieren Sie sich mehr für Elefanten, Impalas, Topis und Gazellen? Dann bringe ich Sie zum Tsavo-Nationalpark…«
Ich lächelte den gesprächigen Mann freundlich an.
Vicky – sie hatte sich von all dem Horror vom vergangenen Tag zum Glück wieder gut erholt – trank von ihrem Sherry, während Mr. Silver angelegentlich seine großen Hände betrachtete.
»Wir sind nicht nach Mombasa gekommen, um Kenias Sehenswürdigkeiten zu bestaunen, Mr. Gordon«, sagte ich zu dem Fremdenführer.
»Sind Sie geschäftlich hier?« fragte mich Gordon etwas enttäuscht.
»Wir wollen keine Flußpferde und keine Krokodile sehen«, sagte ich. »Sondern…«
»Sondern?« Sein Blick hing an meinen Lippen.
»Wir möchten Bara sehen. Bara, die weiße Göttin.«
Ein Ruck ging durch Gordons Körper. Für mich war das ein Zeichen dafür, daß er wußte, von wem ich sprach.
»Wenn Sie uns zu ihr führen können, sind Sie unser Mann«, sagte ich.
George Gordon überlegte nicht lange. Er schaute mir nicht in die Augen, als er nickte und sagte: »Das kann ich, Mr. Ballard.
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