GK266 - Die weiße Göttin
Fremdenführer geworden. Hatte er Angst vor der weißen Göttin?
Ich fragte ihn danach. Er blickte mich mit flatternden Augen an. »Angst?« preßte er mühsam hervor. »Nun, ich kann nicht gerade behaupten, daß es mir großes Vergnügen bereitet, mit Ihnen in diesen Hain zu gehen, aber ob das bereits Angst ist, weiß ich nicht.«
Ich griff nach meiner Bereitschaftstasche. »Wollen Sie lieber hierbleiben, Gordon?«
Der Fremdenführer schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe gesagt, daß ich Sie zur weißen Göttin bringe, und dabei bleibt es.«
»Wenn Sie uns den Weg sagen…«
»Ich komme mit«, sagte Gordon entschieden. Wir machten uns auf den Weg. Sobald wir den finsteren Hain betreten hatten, beschlich uns alle ein unerklärliches Gefühl.
Unheil war in unserer Nähe. Ich konnte es mit jeder Faser meines Körpers wahrnehmen. Dieser Palmenhain wirkte auf mich wie eine Falle, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Hier drinnen sollte sich unser Schicksal erfüllen. So war es allem Anschein nach von der weißen Göttin geplant.
Ich bildete das Schlußlicht.
Immer wieder schaute ich mich um, denn ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, jemanden hinter mir zu haben. Manchmal war mir, als würde mich ein Blick förmlich zwischen den Schulterblättern berühren.
George Gordon ging vor Mr. Silver.
Hinter dem Ex-Dämon stolperte Vicky über den unebenen Boden. Meine Freundin war sichtbar aufgeregt. Sie hatte sich diese Expedition zu Hause in London ganz anders vorgestellt.
Doch nun – nach dem Abenteuer mit der Kaiman-Bande – flatterten ihre Nerven.
Gordon brauchte kein Licht. Er fand seinen Weg mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit. Das gab mir zu denken. Wenn er so zielstrebig durch diesen Hain gehen konnte, mußte er schon öfter hier gewesen sein.
Und wenn er schon öfter hier war, mußte er mindestens einmal Bara gesehen haben. Irgend etwas stimmte da nicht so ganz. Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, als es rechts von mir hinter Büschen, die zwischen den Palmenstämmen aufragten, verräterisch raschelte.
Ich zuckte augenblicklich herum.
Meine Fäuste wippten hoch. Ich erwarte in derselben Sekunde einen Angriff, doch nichts passierte. Der Schweiß näßte mein Hemd und ließ es an meinem Körper kleben.
Ich schloß an die andern wieder auf. Da war das Rascheln erneut. Meine Gesichtsmuskeln strafften sich. Mir war, als brauche ich nur wahllos die Hand in irgendeine Richtung auszustrecken, und schon würde ich einen Verfolger zu fassen kriegen.
Vicky hatte davon noch nichts mitbekommen.
Ich machte sie absichtlich nicht darauf aufmerksam, um die in ihr vorhandene Angst nicht unnötig anzustacheln. Aber ich hielt die Augen gewissenhaft offen, um auf eine Attacke rechtzeitig reagieren zu können.
Gordon blieb stehen.
»Ist es noch weit?« fragte Vicky ihn.
Er sagte nichts. Er zitterte am ganzen Leib. Sein Gesicht war klatschnaß vom Schweiß. Verzweiflung hatte sich tief in seine Züge gegraben. Krächzend hörte ich ihn gestehen: »Ich kann es nicht. Ich bringe es einfach nicht fertig.«
»Was?« fragte ich den Fremdenführer schnell. »Was können Sie nicht, Gordon?«
Er starrte mich mit flackernden Augen an. Seine Nervosität hatte den höchstmöglichen Grad erreicht.
»Sie hat mich gezwungen…«
»Wer?« fragte Mr. Silver.
»Bara.«
»Wozu hat sie Sie gezwungen?« fragte ich eindringlich.
»Sie hat mir aufgetragen, euch in eine Falle zu locken, aber ich kann es nicht. Sie hat von mir verlangt, daß ich Ihnen Ihre für sie gefährlichen Waffen abnehme, Ballard, aber Sie haben mich dabei erwischt… Es ist mir unmöglich, euch ins Verderben zu führen. Es ist mir egal, was die weiße Göttin jetzt mit mir macht. Was sie von mir verlangt hat, geht einfach über meine Kräfte!«
»Haben Sie keine Angst, Gordon!« sagte ich fürsorglich. »Wir werden schon auf Sie aufpassen.«
»Lassen Sie uns umkehren, Mr. Ballard!« keuchte der Fremdenführer. »Schnell, bevor es zu spät ist. Wir haben den Ort, an den ich Sie bringen sollte, schon fast erreicht. Wir müssen zusehen, so rasch wie möglich von hier wegzukommen, sonst erreicht Bara doch noch, was sie will!«
Er wollte an mir vorbeistürmen.
Da fingen plötzlich dumpfe Trommelschläge an.
Gordon starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Zu spät. Wir sind verloren!«
»Verräter!« gellte plötzlich die schrille Stimme einer Frau durch den finsteren Hain. »Verfluchter Verräter!«
Das galt George Gordon. Er
Weitere Kostenlose Bücher