GK278 - Die Bestie
er auf den niedrigen Couchtisch.
Er ließ sich auf das cremefarbene Sofa fallen, lagerte die Beine hoch, schloß die Augen und dachte nach. Diese magische Ohnmacht war nicht zu unterschätzen. Sie lähmte Tony und die anderen.
Inzwischen konnte die Kaiman-Bande – falls sie tatsächlich dahintersteckte – in aller Ruhe ihre Vorbereitungen treffen, die in einem gefährlichen Schlag gipfeln würden.
Mr. Silver zerbrach sich den Kopf, wie er seine Freunde vor einem Zugriff der Kaiman-Gangster bewahren konnte. Es fiel ihm keine brauchbare Maßnahme ein. Diese magische Bewußtlosigkeit mußte so rasch wie möglich beendet werden.
Aber wie?
Es gab eine Möglichkeit. Mr. Silver grübelte angestrengt darüber nach. Er erinnerte sich vage an einen Mann, dessen Namen er vergessen hatte. Wie hatte der Mann doch geheißen?
Roy… Ja. Roy … Aber wie noch? Roy Wellmous? Nein. Roy Celcore? Auch nicht. Roy Bellmore? Ja. Ja, das war sein Name gewesen. ROY BELLMORE! Dieser Mann hatte im zwölften Jahrhundert gelebt.
Je länger Mr. Silver über ihn nachdachte, desto mehr Einzelheiten fielen ihm dazu ein. Roy Bellmore war ein angesehener Alchemist gewesen. Er hatte sich vor allem damit einen Namen gemacht, weil es ihm als einzigem gelungen war, einen Kräutertrank herzustellen, mit dem sich das Böse bekämpfen ließ.
War jemand von der Macht eines Dämons befallen worden, brauchte er nur wenige Tropfen von Bellmores scheußlich schmeckendem Zeug einzunehmen – und schon war er vom Bösen erlöst.
Roy Bellmore. Er hatte vielen Leuten geholfen, damals im zwölften Jahrhundert. Er lebte seit achthundert Jahren nicht mehr. Dennoch sah Mr. Silver eine Möglichkeit, mit Bellmore Kontakt aufzunehmen.
Tony und die andern brauchten Hilfe. Roy Bellmore konnte sie ihnen geben. Vielleicht war er der einzige, der dazu imstande war. Mr. Silver mußte den Mann aufsuchen.
In dessen Jahrhundert!
Das war freilich nicht ganz ungefährlich, denn damals war Mr. Silver zum Tode verurteilt worden. Tony hatte ihm das Leben gerettet und hatte ihn mit ins zwanzigste Jahrhundert genommen.
Wenn Mr. Silver nun ins zwölfte Jahrhundert zurückkehrte, konnte es passieren, daß man ihn wieder einfing und das Urteil vollstreckte, dem er entflohen war. Dennoch zögerte der Hüne keine Sekunde, diesen gefährlichen Schritt zu tun. Es gab seiner Ansicht nach keine andere Möglichkeit, Tony Ballard und den anderen zu helfen.
Irgendwie würde sich Mr. Silver vor einem Zugriff schon retten können.
Der Ex-Dämon setzte sich in einen bequemen Armsessel. Er bereitete sich geistig auf die Reise durch die Jahrhunderte vor. Er legte seine silbernen Hände aufs Herz und versetzte sich in tiefe Trance.
Er befahl seinem Geist, mit Riesenschritten in die Vergangenheit zurückzueilen. In jene Zeit, aus der er stammte. Die Ereignisse des letzten Jahrhunderts rasten an ihm vorüber.
Dann kam die Jahrhundertwende. Weiter ging es in die Vergangenheit zurück. Immer tiefer hinein ins Vergessen. Vierzehntes Jahrhundert. Dreizehntes… Und dann kam das zwölfte.
Mr. Silver warf sich mitten in die Zeit hinein, in der er aktiv gewesen war. Er fand sich auf einer schmalen Straße. Ein Pferdefuhrwerk klapperte an ihm vorbei.
Die Menschen, die ihm entgegenkamen, trugen Wams und Perücke.
Mr. Silver blickte sich um und überquerte sodann die Straße. Die Gebäude, an denen er vorbeikam, waren nicht hoch, waren primitiv gebaut. In einer schattigen Einfahrt lag ein Hund.
Er sprang auf und bellte den Ex-Dämon an. Mr. Silver beachtete das Tier nicht weiter, sondern setzte seinen Weg zu Roy Bellmores Haus fort. Trotz seiner langen Abwesenheit fand sich der Hüne hier bestens zurecht.
Bellmores Haus war das letzte in der Straße. Es war ein wenig zurückgesetzt. Blumen wuchsen vor den Fenstern. Eine Holztreppe führte zum Eingang. Der Ex-Dämon klopfte laut und vernehmlich.
Schlurfende Schritte.
Dann wurde die Tür einen kleinen Spalt breit aufgemacht. Ein mißtrauisches Augenpaar musterte Mr. Silver. »Was wünscht Ihr?« fragte eine kräftige Männerstimme.
»Mr. Roy Bellmore?« fragte der Hüne.
»Der bin ich.«
»Ich muß Euch in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«
»Ich höre.«
Mr. Silver warf einen Blick über seine Schulter. »Nicht hier draußen, wenn ich bitten darf.«
Roy Bellmore zögerte einen Augenblick, dann öffnete er die Tür und ließ den Ex-Dämon eintreten. Bellmore war klein. Er wirkte zerbrechlich. Er hatte eine krumme Nase, einen
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