GK446 - Der Geisterhenker
sporadisch nach…«
»Du weißt, daß ich wegen meines Heuschnupfens Tabletten schlucken muß, die mich müde machen«, verteidigte sich Peter Dungl. Tatsache war, daß er sich auch dann auf die Müdigkeit ausredete, wenn er sich frisch wie ein Fisch im Wasser fühlte. Vera hatte jeglichen Reiz für ihn verloren. Die zeitweiligen Umarmungen waren ihm lästig. Er brauchte das nicht. Er kam auch ohne das zurecht.
Langsam führte er die Kaffeetasse an seine Lippen. Dabei fiel ein Tropfen auf das frische Tischtuch.
»Herrgott noch mal, kannst du denn nicht aufpassen? Du kleckerst wie ein alter Mann!« ärgerte sich Vera sofort wieder.
»Es tut mir leid.«
»Es tut dir leid«, spottete Vera Dungl. »Davon habe ich nichts. Meine Güte, so ein Mann macht mehr Arbeit als ein Kleinkind.«
Dungl leerte seine Tasse und trug sie zum Spülbecken. So gut hatte ihn Vera schon abgerichtet. Manchmal kam er sich wie ein Zirkuspferd vor. Oder wie ein dressierter Affe.
Er begab sich in die Diele und zog seine Gummistiefel an.
»Wohin gehst du?« wollte Vera wissen.
»In den Garten. Die Rosen müssen geschnitten werden, die Tomaten gehören gedüngt, ein Beet ist umzustechen…«
»Und wer fährt mit mir zum Supermarkt? Soll ich die schweren Getränkekisten etwa all eine schleppen?«
»Ich bin in längstens einer Stunde fertig. Anschließend fahren wir zum Supermarkt.«
»Na schön. Aber wenn es länger als eine Stunde dauert, kannst du was erleben.«
»Ich werde mich beeilen.«
Peter Dungl verließ das Haus. Sobald er den Garten betreten hatte und allein war, fühlte er sich prächtig. Ein Alpdruck war von seiner Seele gewichen. Es war nicht leicht, mit Vera zu leben, aber er hatte sie nun mal am Hals, daran war nichts mehr zu ändern. Zum Mond schießen konnte er sie nicht. Wenn das möglich gewesen wäre, hätte er es getan. Bei Gott, er hätte es getan. Mit Vergnügen.
Über Waschbetonplatten schritt Dungl zur Gartengerätehütte. Sie bestand aus dünnem Aluminium, grün lackiert, und wies zahlreiche Dellen auf. Die Schiebetüren standen weit offen. Das mißfiel dem ordnungsliebenden Peter Dungl. Es war ihm noch nie passiert, daß er die Türen offengelassen hatte. Vera mußte sich daran zu schaffen gemacht haben, und da sie ein wenig klemmte, hatte sie sie einfach offen gelassen.
Dungl erreichte die Hütte.
In der nächsten Sekunde übersprang sein Herz einen Schlag.
Denn zwischen den Gartengeräten lag - ein Toter!
***
Der Mann war Peter Dungl fremd. Mit bleichem Gesicht und verrenkten Gliedern lag er auf dem Boden. Um seinen Hals hatte der Unbekannte eine Schlinge aus dickem Hanf.
Dungl fuhr sich an die Lippen. Fassungslos starrte er auf die Leiche.
Wie kam sie in seine Gartengerätehütte? Der Mann mußte ermordet worden sein. Um einen Selbstmörder konnte es sich nicht handeln. Wer hatte ihn hier abgelegt? Die Gedanken fuhren in Peter Dungls Kopf Karussell. Polizei! Er mußte die Polizei verständigen.
Hastig machte er kehrt, ohne sich den Toten näher anzusehen. Er hätte ja doch nicht die Courage aufgebracht, den Leichnam anzufassen. Vielleicht hätte er sich ansehen sollen, was der Unbekannte in seinen Taschen hatte, oder war das Sache der Polizei? Ja, das war es. Alles war Sache der Polizei. Sie sollten den Toten fortschaffen, und zwar so rasch wie möglich.
Dungl stürmte ins Haus.
»Sag mal, bist du nicht mehr bei Trost!« herrschte Vera ihren Mann an. »Du latscht mit den Gummistiefeln durchs Wohnzimmer? Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Wie oft habe ich dir schon gesagt…«
»Halt den Mund, Vera!«
Sie plusterte sich auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Was fällt dir ein? Wie redest du mit mir?«
»In der Gartenhütte liegt ein Toter. Denkst du, da habe ich Zeit, meine Gummistiefel auszuziehen und vielleicht auch noch in die Pantoffeln zu schlüpfen?«
Jetzt war Vera Dungl sprachlos. »Ein Toter? Wer ist es?« preßte sie nach einer Weile heiser hervor.
Peter Dungl wählte die Nummer des Polizeinotrufs. »Keine Ahnung«, sagte er zu seiner Frau. »Ich habe den Mann nie zuvor gesehen.«
Am anderen Ende meldete sich eine forsche Stimme.
»Hallo!« rief Peter Dungl aufgeregt. Er nannte seinen Namen und seine Adresse und fügte hinzu: »Ich habe eine Leiche in meiner Gartenhütte gefunden…«
***
Oliver Kirste war ehrlich froh, als die Nacht endlich vorüber war. Er war im Morgengrauen kurz eingeschlafen, war aber schweißgebadet aus einem fürchterlichen
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