GK453 - Wolfsmond
uns lagen, befand sich kein Leben mehr. Zwei Gestalten lebten mehr, als es uns recht war.
Ich ließ meinen Blick mißtrauisch schweifen. Hob und senkte sich vielleicht eines der Laken verräterisch?
Ich hätte sofort geschossen. Viel hätte dabei nicht schiefgehen können, denn die Leichen waren schon tot, folglich konnte ihnen mein Silbergeschoß nichts mehr anhaben. Ich feuerte nur deshalb nicht gleich durch alle Laken, weil es mir mein Pietätsgefühl versagte.
»Sie stecken hier«, flüsterte Mr. Silver. »Ich kann sie förmlich riechen.«
»Dann zeig mir den Weg zu ihnen«, verlangte ich.
»Kann ich nicht, aber sie befinden sich in diesem Raum.«
Ich hob das erste Laken. Vor mir lag das bleiche wächserne Gesicht einer alten Frau. Das Antlitz war von vielen Falten bedeckt, der Mund war halb offen, die Augen geschlossen. Weißes Haar lag glatt am Kopf. Ein Mensch, der ausgelebt hatte.
Auch Mr. Silver schlug ein Laken zurück. Sein Körper wurde zu Silber, ohne die Geschmeidigkeit zu verlieren. Die Spannung knisterte im Raum. Ich ging zum nächsten Tisch. Unter dem Laken lag ein Mann, der bis zu seinem Ende bestimmt viel zu leiden gehabt hatte. Man sah es ihm an. Erschüttert deckte ich ihn wieder zu.
Die Szene war unheimlich, und mir kroch fortwährend die Gänsehaut über den Rücken. Dabei mußte ich höllisch aufpassen, denn unter jedem Laken konnte ein Werwolf liegen, der sich in dem Moment auf mich stürzte, wo ich ihn abdeckte.
Ich stieß mit dem Handrücken gegen eine scharfe Metallkante. Früher hätte ich mir dabei die Haut aufgerissen und geblutet, doch seit ich ein unfreiwilliges Bad in Drachenblut genommen hatte, war ich unverwundbar wie Siegfried. Ich war sogar noch besser dran als dieser, denn ich hatte nicht einmal zwischen den Schulterblättern eine verwundbare Stelle. Messer, Dolche, Kugeln vermochten mir seither nichts mehr anzuhaben, solange sie nicht magischen Ursprungs waren. Ich war nur gegen herkömmliche Waffen resistent. Im Kampf gegen die Ausgeburten der Hölle war ich jedoch nach wie vor so verletzbar wie früher, dagegen gab es für mich keinen Schutz.
Ich hob das dritte Laken.
Wieder »nur« ein Toter. Das Alter des Mannes ließ sich schwer schätzen. Er war kahlhäuptig und hätte ebenso 35 wie 45 Jahre alt sein können, vielleicht auch mehr.
Es war ein scheußliches Gefühl inmitten dieser Leichen, aber ich mußte bleiben, durfte die Kammer nicht verlassen, solange wir die beiden Bestien nicht aufgestöbert hatten.
Mr. Silver faßte nach dem nächsten Lakenzipfel.
Da passierte es.
Ein wütendes Knurren erfüllte den Raum und riß mich herum. Der Werwolf schnellte hoch und stürzte sich auf den Ex-Dämon. Seine Krallen ratschten über Mr. Silvers Körper. Ein widerliches Geräusch, das mir die Haare sträubte. Die Bestie umklammerte meinen Freund und Kampfgefährten. Weit riß sie ihr Maul auf. Die Schnauze fuhr Mr. Silver an die Gurgel, aber die gefährlichen Reißzähne vermochten den Ex-Dämon nicht zu verletzen. Sie splitterten ab. Das Untier heulte auf. Mr. Silver riß es hoch und schleuderte es kraftvoll auf den Boden.
Und schon war ich zur Stelle.
Aus nächster Nähe feuerte ich meinen Colt Diamondback ab. Das geweihte Silbergeschoß hieb in den Körper des Monsters. Ein klägliches Winseln, der Wolf streckte sich und verendete.
Mit seinem Tod setzte die Rückver-Wandlung ein, und wie wir nachträglich erfuhren, hatten wir Rex Rhodes vor uns. Seine Züge glätteten sich. Ein friedlicher Ausdruck legte sich über sein Gesicht. Er war erlöst.
Aber es gab noch einen zweiten Werwolf: James Blackburn! Wir suchten ihn fieberhaft. Alle weiteren Leichen deckten wir ab, doch unter keinem der Laken lag das Monster.
Das bedeutete, daß sich die Monster getrennt hatten. Wir konnten sicher sein, daß der zweite Wolf den Keller inzwischen verlassen hatte. Hatte er sich nach oben begeben? Oder hatte er es vorgezogen, das Gebäude zu verlassen, um sich bei gutem Wind aus dem Staub zu machen?
Wir hatten - so sahen wir es - erst die Hälfte unseres Jobs getan. Die Suche nach dem zweiten Scheusal ging weiter.
***
Im vierten Stock herrschte nach wie vor große Aufregung. Verständlich. Die Leute hatten zum erstenmal in ihrem Leben zwei Werwölfe gesehen. Viele von ihnen hatten bestimmt nicht geglaubt, daß es solche Monster wirklich gab. Die meisten Menschen gruseln sich gern im Kino, vor dem Fernsehapparat oder beim Lesen eines Horror-Romans, aber was ihnen in dieser Zeit
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