GK453 - Wolfsmond
Hecheln. Sie lachte.
»Hunden ist der Zutritt zu dieser Klinik verboten, aber in deinem Fall werde ich eine Ausnahme machen. Komm her, du kleiner Frechdachs. Komm zu Frauchen.«
Zwei Schritte war die Krankenschwester nur noch vom Paravent entfernt. Sie blieb stehen, verschränkte die Arme, zog die dunklen Brauen unwillig zusammen und sagte: »Also jetzt reicht’s aber, Mel. Man kann alles übertreiben. Entweder du kommst jetzt auf der Stelle aus deinem Versteck, oder ich verlasse diesen Raum.«
Knurren.
»Und hör bitte auf, mir mit diesen alberen Geräuschen Furcht ein jagen zu wollen.«
Melvin blieb hinter dem Schirm. Das verstimmte Ina Franch ein wenig. Sie tat die restlichen zwei Schritte und fegte den Wandschirm mit einer schnellen Handbewegung zur Seite.
Im selben Augenblick erstarrte sie vor Schreck, denn hinter dem Paravent hatte sich nicht Melviri Keach versteckt. Nein, dahinter standen zwei grauenerregende Ungeheuer.
Werwölfe!
***
Mein Gespräch mit Charlotte Lane fiel mir ein. James Blackburn war vor vier Tagen spurlos verschwunden, hatte ich von ihr erfahren. Und genau vor vier Tagen war der erste Werwolfmord passiert. Vier Tage. Vier Opfer. Inzwischen waren es fünf Tage und fünf Opfer geworden. Blackburn! Er hatte in der vergangenen Nacht seine Frau ermordet. Seine Streifzüge hatten sich auf ein Gebiet beschränkt, das er gut kannte: Clerkenwell. Mr. Silver hatte ihn gejagt, ihm war die Flucht gelungen, und er war von einem Wagen angefahren worden. Fast sämtliche Knochen wurden ihm bei dem Unfall gebrochen, und heute waren sie wieder heil.
James Blackburn mußte der Werwolf sein.
Niemand anderes Knochen wären so rasch wieder geheilt.
Und Rex Rhodes? Der mußte von Blackburns Wolfsgift infiziert worden sein. Eine andere Erklärung hatte ich im Augenblick nicht für Rhodes Genesung.
»Wo liegen die beiden?« fragte ich Dr. Remick hastig.
»Sie sind also mit mir der Meinung, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, Mr. Ballard.«
»Darauf würde ich jede Wette abschließen.«
Steve Remick sagte uns, wo die beiden Patienten untergebracht waren.
»Komm, Silver«, knirschte ich. »Ich denke, wir brauchen uns keine weitere Nacht mehr um die Ohren zu schlagen.«
»Soll ich mitkommen?« fragte Tucker Peckinpah.
»Nein, Partner. Sie sind hier besser aufgehoben.«
»Was befürchten Sie?«
»Daß James Blackburn ein gefährlicher Werwolf ist und daß er Rex Rhodes in seinen Dunstkreis gezogen hat.«
Remicks Augen weiteten sich. »Heißt das, daß sich zwei Monster in unserer Klinik befinden, Mr. Ballard?«
»Das nehme ich mit Sicherheit an, aber das ist vorläufig noch kein Grund zur Panik. Rhodes und Blackburn warten höchstwahrscheinlich die kommende Nacht ab. Sie lieben die Dunkelheit für ihre Aktivitäten. Mr. Silver und ich werden jedoch dafür sorgen, daß die beiden Ungeheuer bis dahin keinen Schaden mehr anrichten können.«
Der Ex-Dämon und ich verließen hastig den Raum. Tucker Peckinpah und Steve Remick blieben zurück. Wir eilten den Gang entlang. Das Zimmer, in dem Blackburn und Rhodes lagen, befand sich in derselben Etage. 411 war die Nummer. Bei 420 waren wir schon angelangt. Der Countdown lief. 419, 418, 417, Teeküche, 416…
Und wenig später erreichten wir 411.
Auf Mr. Silvers Haut zeigte sich ein leichtes silbernes Schillern. Ein Zeichen, daß der Ex-Dämon genauso aufgeregt war wie ich. Ich blickte mich um. Der Korridor war leer. Also würde ich niemanden erschrecken, wenn ich meinen Colt Diamondback aus der Schulterhalfter angelte.
»Bist du bereit?« fragte mich Mr. Silver leise.
»Und wie. Ich kann’s nicht mehr erwarten, den Bestien den Garaus zu machen. Fünf Morde sind genug.«
»Finde ich auch«, zischte der Ex-Dämon und stieß die Tür auf. Synchron sprangen wir in das Zimmer. Meinem Freund entfuhr ein Fluch, als er die leeren Betten sah.
Ich kam mir reichlich dämlich vor mit dem Ballermann in der Hand, in einem leeren Raum.
»Mist, verfluchter«, ärgerte sich Mr. Silver. »Sie haben sich aus dem Staub gemacht!«
Plötzlich schrillte ein Schrei durch den Gang, der mir wie ein Messer unter die Haut ging.
»Aber sie sind noch nicht weit gekommen«, preßte ich heiser hervor und startete.
***
Ina Franch fuhr sich mit den Fingern ins goldene Haar und krallte sich daran fest. Das nackte Grauen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Fassungslos starrte sie die beiden mordlüsternen Wölfe an, die ihre Lefzen hoben und die weißen Raubtierzähne
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