GK473 - Sonne, Sand und Höllenmonster

halbblind wie ein Mensch durch die Finsternis zu tappen. Er nahm seine unmittelbare Umgebung einigermaßen gut wahr. Am Tage sah natürlich auch er wesentlich besser.
    Der Hüne zerteilte das Dickicht mit seinen kräftigen Pranken. Er war total auf Abwehr eingestellt. Hypersensibel registrierte er auf alle Einflüsse, die ihn erreichten.
    Eine so hohe Sensibilität hätte man diesem Koloß gar nicht zugetraut. Seine Sinne waren geschärft. Er mißtraute der Nacht und dem, was sie in sich verbarg, in hohem Maße.
    Plötzlich traf ihn eine Wahrnehmung wie ein Schock.
    Tony Ballard war in Gefahr!
    ***
    Ich blieb kurz stehen, um zu lauschen. Die gewohnten Geräusche der Natur umgaben mich. Doch nicht nur sie. Außerdem nahm mein scharfes Gehör noch ein eigenartiges Schmatzen wahr. Mir rieselte es kalt über den Rücken. War das das Ungeheuer? Wie nahe war ich ihm schon?
    Mit einer fließenden Bewegung zog ich meinen Colt Diamondback aus der Schulterhalfter. Ich entsicherte die Waffe, die mit geweihten Silberkugeln geladen war.
    Jeder Schritt, den ich machte, steigerte meine Spannung. Mein sechster Sinn sagte mir, daß ich mich auf dem richtigen Weg befand. Hätte ich nicht eigentlich Mr. Silver davon in Kenntnis setzen müssen? Ich wollte mir zuerst noch Gewißheit verschaffen. Allein.
    Geschmeidig kletterte ich über einen Windbruch.
    Plötzlich vernahm ich Mr. Silvers Warnruf: »Tony, Vorsicht!«
    Und dann schien der Weltuntergang loszubrechen.
    Etwas Dickes schnellte mir durch das Blattwerk entgegen. Ein Arm vielleicht. Ich reagierte instinktiv, denn zum Denken blieb mir keine Zeit. Ein Sprung zurück sollte mich aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich bringen, doch der Arm, oder was es war, traf hart meinen Kopf.
    Mir wäre nichts passiert, wenn die Schwarze Macht nicht mitgemischt hätte, denn seit meinem unfreiwilligen Bad in Drachenblut war ich unverwundbar, solange keine Schwarze Magie im Spiel war.
    Hier war sie jedoch präsent.
    Der gewaltige Treffer riß mir fast den Kopf von den Schultern. Ich stieß gegen eine Wurzel, blieb mit den Hacken daran hängen und fiel. Während des Sturzes rutschte mir der Revolver aus den Fingern und verschwand irgendwo zwischen Gräsern und Farnen.
    Der Tropenwald schien zu leben.
    Die Erde schien aufzubrechen.
    Unbeschreibliche Kräfte attackierten mich. Sie knickten Palmen wie Streichhölzer, entwurzelten Bäume und schleuderten sie wie Speere nach mir. In der Schwärze der Nacht glühte ein Augenpaar. Mehr konnte ich von dem Ungeheuer nicht wahrnehmen.
    Ich hörte Mr. Silver durch das Unterholz brechen.
    Ich kroch über den Boden und suchte meine Waffe. Da traf mich ein neuerlicher Schlag. Diesmal landete er in meinem Kreuz, und es riß mir einen heiseren Schrei von den Lippen.
    Erdreich und Gehölz prasselten auf mich herab. Es lag noch nicht lange zurück, da war ich im Labyrinth der Dämonenschlange verschüttet worden, und wenn Mr. Silver mich nicht schleunigst wieder ausgebuddelt hätte, wäre ich unter dem Schuttberg erstickt.
    Sollte es mir hier ähnlich ergehen?
    Endlich ertasteten meine Finger den Diamondback. Der dicke Stamm einer alten Palme krachte auf mich herab. Wie ein mächtiger Knüppel schlug er nach mir. Ich sprang auf und hechtete im allerletzten Moment zur Seite. Die Palme landete hinter mir auf dem Boden.
    Mr. Silver erreichte mich.
    Ich sah nichts mehr von unserem geheimnisvollen Gegner. Die glühenden Augen waren verschwunden. Auch Mr. Silver, der wesentlich besser sah als ich, konnte keinen Zipfel des Ungeheuers entdecken.
    Stille herrschte im Tropenwald. So, als ob nie etwas passiert wäre. Ich wischte mir mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und steckte den Revolver in die Schulterhalfter.
    »Bist du verletzt, Tony?« fragte Mr. Silver besorgt.
    »Nein. Meine Glieder sind noch heil!« gab ich zurück. »Hast du’s gesehen?«
    »Das Ungeheuer?«
    »Was denn sonst?«
    »Nein, ich habe nichts wahrgenommen.«
    Wir kämpften uns durch das Dickicht, waren bemüht, die Spur des Monstrums zu finden, doch an diesem Vorhaben scheiterte nicht nur ich, sondern auch Mr. Silver. Das Ungeheuer schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
    »Egal, wie es aussieht und woher es kommt«, brummte ich und massierte mein schmerzendes Kreuz. »Eines steht fest: es ist ungemein stark.«
    ***
    Bodie Bannerman versuchte ein unschuldiges Lächeln. Es mißlang. »Doktor…«, sagte er heiser, während sich hinter seiner gerunzelten Stirn die Gedanken überschlugen.
    Er dachte