Glaesener Helga
stach.
»Noch einmal.« Seine Hand drückte weiter auf ihre Kehle. »Sei zornig. Niemand hat ein Recht, dir das anzutun. Wehr dich. Los!«
Das Messer durchdrang den Laib. Es gab ein hässliches Geräusch – die Klinge hatte sich in die Tischplatte gebohrt. Rossi ließ von ihr ab, und Cecilia sank auf die Knie. Sie merkte, dass ihre Augen in Tränen schwammen. Fassungslos biss sie auf ihren Knöchel.
Rossi kümmerte sich nicht um sie, sondern untersuchte das Ergebnis ihres »Zorns«. Offenbar war er zufrieden. »Gut. Gut so, Cecilia. Der Mensch ist verletzlich. Mit solch einem Stich, an die richtige Stelle gesetzt, hättest du deinen Angreifer töten können. Du musst wissen, dass du dazu in der Lage bist. Mit einem Messer in der Hand könntest du ihn töten.«
Ein paar Tage später lud Rossi einige seiner RichterKollegen aus dem Valdinievole-Tal zu sich zu einer Beratung ein.
»Auch den Giusdicente?«, fragte Cecilia.
»Nein.«
Leandro Cardini kam zuerst. Er brachte jemanden
namens Paolo mit, der seinen Nachnamen nicht nannte. Ein wohlbeleibter Herr mit blonden Borstenhaaren, säuerlichem Atem und einer Neigung zu engen Hosen und weißen Porzellanknöpfen. Den beiden folgte Giudice Bimbi, scharfgesichtig und ungeduldig
– Richter in Serravalle Pistoiese. Cecilia nahm ihm den Mantel ab und machte eine Bemerkung über das Wetter, auf die er unhöflich mit einem Knurren reagierte. Man konnte ihm ansehen, dass ihm das Treffen nicht behagte. Er setzte sich auf den Stuhl, der der Tür am nächsten stand, obwohl es dort zog.
Während Cecilia Weingläser füllte, ertönte Pferdegetrappel, und sie sah durch das Fenster einen weiteren Gast. Er sprang aus dem Sattel, schüttelte sich wie ein Hund, schwenkte den Regen aus dem eleganten Filzhut mit der gefärbten Feder und übergab seinem Begleiter die Zügel.
Rossi öffnete das Fenster. »Schick den Jungen in die Küche. Bruno ist auch unten. Die Pferde könnt ihr gegenüber unterstellen.«
Der Neuankömmling war ebenfalls Giudice, sein Junge ein Sbirro, wie die Uniform bewies. Das Milchgesicht des Büttels wurde durch einen flaumigen Jünglingsbart geziert. Wahrscheinlich würde Anita ihn vollstopfen, bis er aus der viel zu dünnen Jacke platzte. Giudice Renzo Polo war um die vierzig, athletisch, mit roten Apfelbacken und einem weichen Kinn, das völlig im Gegensatz zu dem skeptischen Blick stand, mit dem er bei seinem Eintritt die Anwesenden musterte – jeden wenige Sekunden, Mann für Mann. Er begrüßte Cecilia mit einem Handkuss und der Erklärung, dass er Richter in Chiesina Uzzanese sei. »Und worum geht’s nun?« Er machte es sich in Rossis Lehnstuhl bequem, und Cecilia sah, wie er abwartend die Daumen gegeneinander rieb. Alle schauten zu Rossi.
»Die Hundemorde. Es ist an der Zeit, etwas zu unternehmen.«
»Wo ist der Giusdicente?«, wollte Giudice Bimbi wissen. Er hatte sein Glas nicht angerührt.
Cecilia lächelte in die Runde und verließ das Zimmer. Allerdings nicht in Richtung Korridor, wie es angemessen gewesen wäre – sie ging in die Bibliothek. Der Kamin, dieses großartige rundliche Fliesenmonstrum, wurde nicht mehr beheizt, nachdem die Kälte nachgelassen hatte. So war es kein Problem zu verstehen, was im Nebenraum gesprochen wurde.
Cecilia nahm wahllos eines der Bücher und machte es sich gemütlich.
»… müssen eins ums andere durchforstet werden. Diese Hunde sind riesige, muskulöse Monstren. Sie fallen also auf. Außerdem sind sie blutrünstig. Ihr Besitzer muss sie angekettet oder in einem verschlossenen Raum halten. Und dieser Ort muss so einsam liegen, dass niemand ihr Gebell hören kann, denn die Leute sind inzwischen völlig aus dem Häuschen vor Nervosität.« Das war Rossi.
»Hunde!«, schnaubte Bimbi verächtlich.
Als Nächster sprach Leandro Cardini. Cecilia konnte nur Bruchstücke seiner wohlgesetzten, leisen Rede verstehen. Er erzählte von einem Dorf in seinem Bezirk. Wenn sie richtig gehört hatte, dann machten die Bewohner regelmäßig am Wochenende Jagd auf verwilderte Hunde.
»Ich wette, die Viecher landen im Kochtopf.« Das war wieder Bimbi, Cecilia hörte sein unangenehmes Lachen.
Cardini redete von Höhlen. Monsummano war offenbar von einem Höhlensystem durchzogen. »Höhlen, verlassene Gehöfte … Ediche Fischerhäuser stehen leer … und außerdem diese Schuppen in den Sümpfen, in denen die Fischer Reusen und Flickzeug aufbewahrt haben«, sagte Rossi. »Das muss Stück für Stück durchkämmt werden. Wenn wir uns
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