Glaesener Helga
eines Bäckers führte.
Am Freitag kam ein Brief von Dina. Rossi brachte ihn von der Poststation mit, und Cecilia eilte damit in ihr Zimmer. Überglücklich riss sie den Umschlag auf. Als Erstes flatterte ihr ein Papierfetzen entgegen, der zwischen den Briefseiten gelegen hatte. Sie hob ihn auf.
Liebe Cecilia , ich bin ser unglücklich . Die Äbtissin hat mir verbohten Violine zu spielen und Oliva hat gesagt , ich rede wie eine Ku . Bitte hol mich heim . Es ist ser dringend .
Entgeistert begann Cecilia den eigentlichen Brief zu lesen, in dem Dina eine »offizielle« Version ihres Befindens gab. Sie freue sich an dem Unterricht, der ihr besonders bei ihrem Französisch helfe. Die Beichte bei Fra Marcello bringe ihr vielerlei Einsicht. Sie habe Blumen abgemalt und sich durch das Lob der Zeichenlehrerin gestärkt gefühlt … Kein einziger Schreibfehler.
Cecilia lief ins Arbeitszimmer hinauf und zeigte Rossi beides – Brief und Papierfetzen.
»Was will man erwarten? Sie hat Heimweh.« »Und es beunruhigt dich nicht, dass sie ihre Gefühle auf einem Fetzen niederschreiben muss, den sie heimlich mit dem Brief aus dem Kloster schmuggelt?«
»Du machst dir zu viele Gedanken. Was willst du? Dass ich sie beim leisesten Pieps aus ihren Unannehmlichkeiten befreie? Es geht ihr gut. Sie bekommt Essen, sie hat ein Bett, sie wird unterrichtet …«
Dieses Gespräch hatten sie schon oft genug geführt.
»Und die meisten Kinder wären froh, mit ihr tauschen zu können …«, ergänzte Cecilia bissig.
»Jawohl!«
»Gut, aber es könnte auch nicht schaden, ihr einen kurzen Besuch abzustatten, um zu sehen …«
»Das wirst du bleiben lassen.«
»Und wenn es ihr schlecht geht?«
»Du wirst nicht hinfahren.«
»Aber …«
»Und ihr auf diesen jämmerlichen Brief auch nicht antworten. Ich verbiete es.« Er verließ das Speisezimmer – sie hatten gerade gegessen – und gleich darauf das Haus. Auf seinem Teller war die Hälfte der Hühnerleberpastete zurückgeblieben.
Cecilia waren Appetit und Laune ebenfalls verdorben. Das bekam Anita zu spüren, und später Signore Mencarelli, der Schneider, der den Giudice zu sprechen wünschte.
Cecilia erinnerte sich dunkel, dass sie mit ihm einen Streit über eine Rechnung gehabt hatte. Er hatte den Preis für einen Ballen gestreifter Baumwolle, für deren Einkauf sie ihm ein eindeutiges Limit gegeben hatte, überschritten und sehr beleidigt getan, als sie nicht bereit gewesen war, die höhere Summe zu bezahlen. Nun wollte er offenbar Rossi damit lästig fallen, in der Hoffnung, den Richter leichter übers Ohr hauen zu können.
Sie beschied ihm frostig, dass Enzo Rossi zu tun habe und keinesfalls vor dem Abend nach Hause käme. Und da sie wusste, dass Rossi den Montagabend beim Billardspiel mit dem Apotheker und einigen Freunde verbrachte, würde Mencarelli auch dann umsonst erscheinen. Ein winziges Pflästerchen auf die Wunde, die ihr die männliche Selbstherrlichkeit geschlagen hatte.
Im Grunde gab sie Rossi ja recht. Man konnte Dina nicht vor jeder Schwierigkeit bewahren, ohne ihr Schaden zuzufügen. Sie sollte schließlich später einmal fähig sein, sich durchzubeißen. Und was das für eine Frau bedeutete, das wusste Cecilia sogar erheblich besser als Dinas Vater.
Als sie am späten Nachmittag heimging, fand sie vor ihrer Haustür ein Bukett aus weißen Rosen. Zwischen den Blüten steckte ein weißes Kärtchen mit der Aufschrift: Kein Versuch , etwas zu erreichen …
»Rosen um diese Zeit. Signorina, wie treibt man so etwas auf? Das muss ein Vermögen gekostet haben«, hauchte Irene.
Jedenfalls mehr als fünf Julii pro Aufführung. Cecilia seufzte.
Zwei Tage später kam Großmutter Bianca nach Montecatini. Cecilia hatte Irene fortgeschickt, um einen ihrer Schuhe, auf dem sich die Spange gelöst hatte, zur Reparatur zu bringen. So war sie allein zu Haus, als Großmutters Hausdiener klopfte. Erschrocken sah sie, wie erschöpft er sich nach dem Treppenaufstieg an der Wand abstützte, um sie in den Gallo zu bitten, wo Großmutter Quartier genommen hatte. »Großmutter …«
»Sie würde sich freuen, wenn Sie sofort kämen, Monna Cecilia.«
Eilig holte Cecilia ihren Mantel.
Ariberto war die wenigen Gassen zu Fuß gekommen, und so hatte Cecilia Gelegenheit, sich beim Gang durch das Städtchen ein wenig zu fassen. »Geht es ihr gut? Nun, das muss es ja wohl, sonst wäre sie kaum gereist. Es geht ihr doch gut, oder?«
»Ich weiß nicht, Monna Cecilia. Ich habe den Eindruck …« Der Diener
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