Glaesener Helga
ist wie ein Wunder. Ein Fingerzeig Gottes. Er ist in dich vernarrt – der Himmel weiß, warum. Du wirst ihn heiraten. Noch in diesem Jahr. Ich denke an den Herbst …«
Cecilia ließ sich auf einen der Stühle niedersinken. Großmutter hatte nach Art der alten Leute kräftig einheizen lassen. Sie kam sich vor wie auf einem Feuerrost, der Schweiß rann kitzelnd ihre Wirbelsäule hinab. »Ich möchte nicht fort von hier.«
»Läufig.«
Cecilia wusste mit dem Wort nichts anzufangen. Verwirrt hob sie den Kopf.
»Mein Vater hat nichts davon gehalten, junge Mädchen ins Theater zu führen. Auf Gesellschaften war ich keinen Augenblick ohne meine Tante oder eine andere gewissenhafte Verwandte. Ich durfte keine Billetts empfangen, die er nicht vorher las, und ich durfte keine Freundinnen besuchen, weil er ihren Anstandsdamen nicht traute. Ich hatte keine Freundinnen. Da mir eigene Töchter versagt blieben, mussten mich diese Schicklichkeitsfragen nicht kümmern. Aber meiner Enkelin wollte ich ein anderes Leben bieten. Ich habe dir Freiheiten gegeben – und ich bereue es zutiefst.«
»Ein Fehltritt aus jugendlicher Torheit. Ein einziger Fehltritt«, meinte Cecilia bitter.
»Ach?« Großmutter stemmte sich aus ihrem Stuhl. Sie nahm ihren Stock und humpelte zum Fenster, das auf einen unordentlichen Hinterhof führte. »Es ist nicht mehr Inghirami – das begreife ich nun. Ich habe es schon beim letzten Mal begriffen. Es ist dieser Bauernrichter.«
»Warum … sagen Sie solche Dinge? Das ist nicht wahr. Nichts davon. Haben Sie mich nicht selbst hierher geschickt?«
»In einen ordendichen Haushalt, wie ich annahm. Selbst bei einem Emporkömmling wie Enzo Rossi hätte ich Dienstboten erwartet, eine Hausdame … Dass er über den Anstand verfügt, von einer jungen Verwandten die Hände zu lassen. Und nun erfahre ich, dass du wie eine Mätresse …«
»Großmutter!«
»Lebtest du etwa nicht unter einem Dach mit ihm, Tag und Nacht, und nachts ohne Dienstboten, die euch stören könnten? Bist du etwa nicht mit ihm auf Reisen gegangen? Hat er dir nicht diese Wohnung gemietet, um weiter …«
»Es ist völlig anders!«
»Kümmert es dich keinen Deut, dass du mit dem Mann Unzucht treibst, der deine Cousine ins Unglück stieß? Dass du es tust unter den Augen von Grazias Tochter?«
Cecilia erhob sich.
»Nicht nur Florenz, auch Montecatini zerreißt sich das Maul . Du hast es geschafft, dich vollständig zu diskreditieren, hier wie dort.«
Sie ging zur Tür.
»Du bleibst!«, befahl Großmutter heiser. »Du bist meine Enkeltochter. Du wirst mir zuhören, bis ich dir erlaube, diesen Raum zu verlassen.«
Cecilia drehte sich um, bevor sie die Tür öffnete. »Dina ist bereits im Kloster«, sagte sie und beendete damit das Gespräch vor dem letzten Schachzug, der ihrer Großmutter noch geblieben wäre.
Rossis Mätresse .
Zumindest das hatte Großmutter erreicht: Aus einer vagen Befürchtung war eisenharte Gewissheit geworden. Die Leute von Montecatini sahen in Cecilia Barghini eine Hure. Offenbar war alle Vorsicht zu spät gekommen. Signora Seccis Hinweis hatte sie erreicht, als ihr Ruf längst ruiniert war.
Cecilia lief durch die Gassen. Sie traf eine Frau, die sich nach ihr umdrehte, und zwang sich, nicht darüber zu grübeln, was ihr durch den Kopf gehen mochte. Konnte es wirklich so schlimm sein, wie Großmutter behauptete? Nein, dachte Cecilia, dann hätte Signora Secci nicht an mich vermietet. Wahrscheinlich wucherten die Gerüchte noch als winzige Pflänzchen in irgendwelchen verborgenen Ecken und warteten auf den nächsten Fauxpas wie auf einen Regenguss. Von wem mochte Großmutter wissen, dass Inghiramo in Montecatini war?
Erst als sie vor dem Palazzo della Giustizia stand, wurde Cecilia bewusst, dass sie mit ihrem Schrecken geradewegs auf dem Weg zu Rossi war. Nun, das würde dich freuen, was Großmutter?
»Verzeihung, Signorina Barghini.« Der Schneider Mencarelli stand im Vorgarten des Palazzos, den Hut in der Hand. »Giudice Rossi …«
»Ist leider auch jetzt nicht zu sprechen. Ich fürchte, Sie werden ein weiteres Mal vorbeikommen müssen.« Das war keine Lüge. Sie selbst würde Rossi – vorausgesetzt er war daheim – mit Beschlag belegen.
Gekränkt verneigte sich der Mann und stolzierte davon.
Rossi stand in der Küche und unterhielt sich mit Anita über Winteräpfel, während er Schokolade schlürfte. Auf dem Gesicht der Köchin, die eingeschüchtert Gemüse schnippelte, malte sich Erleichterung, als sie ihre Herrin
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