Glaesener Helga
Herrschaften einander die Langeweile vertrieben, und die träge Herablassung, mit der sie die großen und kleinen Wehwehchen des Weltgeschehens kommentierten.
Rossi würde zwischen sie platzen wie die Karikatur des Flegels, den sie in jedem Niedriggeborenen sahen. Der Gute , fast hätte er einen Herzanfall bekommen . Worum geht es? Ein Sbirro? Barmherziger ! Bald wird der Granduca seinen Abortreiniger zur Audienz begrüßen …
Cecilia biss sich auf die Lippe. Sie mochte sich nicht vorstellen, wie Rossi reagieren würde, wenn man ihn fortschickte. Wie will er denn das Messer erklären? fragte sie sich bekümmert.
Goffredo kam über den Platz geschlendert. »Guten Morgen, verehrte Signorina Barghini. Ich bekomme einen Scudo Mietschuld vom Giudice für das Leihpferd von gestern, und noch einen für heute«, erklärte er, während er die steifen Finger rieb, mit denen er Rossis Pferd gesattelt hatte.
»Einen Scudo insgesamt«, protestierte Cecilia mechanisch. »Und außerdem: Spannen Sie Emilia an.«
»Auch auf die Reise?«
»Goffredo, Sie sind so neugierig. Ich reise in einer Stunde.«
Lachend machte er sich davon.
Sie küsste Dina, sie erklärte Anita, dass sie bei dem Kind im Palazzo schlafen müsse, bis sie selbst wieder zurück sei, sie trieb die indignierte Irene zur Eile an … In dem Moment kehrte Adolfo zurück. Der alte Mann sah schlimm aus. Seine Augen waren verschwollen, er musste lange geweint haben. Aber wirklich erschütternd war die Ruhe, die die Tränen hinterlassen hatten.
»Gut, Sie gesund zu sehen, Signorina. Ich hätte nicht fortgehen dürfen.« Er bemerkte die Reisetasche auf dem Boden und fügte hinzu: »Ich werde Sie begleiten.«
»Aber es ist nur Platz für zwei Personen auf der Kutsche.«
»Dann wird das Weib dort …« Adolfo nickte in Irenes Richtung. »… zurückbleiben. Sie ist zu nichts nütze, das wissen Sie – ich meine, wenn es Ernst wird. Wo geht es denn hin?«
Sie sagte es ihm.
»Dann umso mehr.« Der alte Fischer trug nicht mehr nur seine Pistole bei sich. Er hatte eine Flinte auf den Rücken geschnallt und sah hart und entschlossen aus. Cecilia war von Herzen froh über seine Begleitung.
Kurz darauf rollten sie in der weißen Vittoria aus der Stadt.
Es war eine lange Fahrt, während der Adolfo kein einziges Wort sprach. Aber sie sah, wie er über die Zügel hinweg prüfend die Landschaft im Auge behielt, und gelegentlich warf er einen Blick über die Schulter. Die Flinte hatte er hinter sich auf der Bank verstaut. Die Pistole lag griffbereit zwischen seinen Beinen. Cecilia trug ihren Pompadour auf dem Schoß, und auch darin befand sich eine Pistole.
Irgendwann, ein Stück hinter Serravalle, sagte der Alte: »Wir achten auf einen Mann, der einen Fuchs reitet, nicht wahr, Signorina? Da hab ich den Giudice doch recht verstanden?«
Beunruhigt schaute Cecilia sich um. »Haben Sie jemanden gesehen?«
Er antwortete nicht, aber er berührte den Pistolengriff, als wollte er sich vergewissern, dass die Waffe immer noch griffbereit war.
Sie machten Rast in Pistoia, wo sie auf dem Markt Obst aßen, aber sie waren zu unruhig, um Emilia mehr als diese kurze Pause zu gönnen. Das Pferd schien vom Frühling aus dem Schlaf geweckt worden zu sein. Es trabte lustvoll voran. Nach weiteren zehn Meilen hielten sie an einer Poststation und tauschten die Stute gegen ein frisches Tier aus. Adolfo schacherte um den Preis, während Cecilia sich die Beine vertrat. Als sie einen Blick zu den beiden Männern warf, sah sie, dass der Alte die Pistole in den Gürtel gesteckt hatte.
»Uns folgt niemand, nicht wahr?«, fragte sie, als sie in die Kutsche zurückstiegen.
»Alles an mir ist alt, aber nicht meine Augen.« Mit dieser Antwort musste sie sich begnügen.
Sie erreichten Florenz am Nachmittag. Das Wetter hatte sich weiter aufgehellt, und die hohen Mietshäuser und die Stadtvillen mit ihren Balkonen und prächtigen Treppen wurden von sonnengelbem Glanz überzogen. In den Kirchtürmen lärmten die Glocken. Die Stadtväter hatten beschlossen, mehrere Hauptstraßen neu zu pflastern, und entsprechend musste sich der Verkehr durch Seitengassen zwängen, um die Baustellen zu umgehen. Oft genug blieben die Kutschen stecken und waren nur mit einem enormem Aufwand an Kraftausdrücken wieder flott zu bekommen.
Alfredo schien inmitten dieses Lärms und Gedränges zu schrumpfen. Misstrauisch musterte er die Gestalten, die sich an der Kutsche vorbeidrängten. Einen Jungen, der ihnen ein in Zeitungspapier
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