Glaesener Helga
eingeschlagenes Käsestück anbieten wollte, knuffte er mit dem Lauf seiner Pistole beiseite.
Florenz hatte sich seit Cecilias letztem Besuch verändert. Die fröhlichen, des Winters überdrüssigen Einwohner hatten Frühblüher in die Balkonkübel gepflanzt. Hausmädchen putzen Fensterscheiben blank, und Gärtner schlugen vor den Villen die Spaten in die Erde der Vorgärten. Der Gestank aus der Gosse vermischte sich mit dem Frühlingsduft. Die Via Porta Rossa, in der sich Großmutters Stadthaus befand, war nur wenige Gassen entfernt. Man wäre in wenigen Augenblicken dort, dachte Cecilia, aber natürlich bogen sie nicht ab.
Schließlich erreichten sie die Piazza della Signoria.
»Dort drüben entlang«, sagte Cecilia. »Wir müssen über den Ponte Vecchio.«
»Was?«
»Bei dem Fischhändler um die Ecke«, sagte Cecilia und verscheuchte die trüben Erinnerungen an Großmutter. Sie hatte Kreuzschmerzen, und ihr wurde schmerzlich bewusst, wie nutzlos diese Reise in die Stadt vermutlich war. Cecilia Barghini stammte aus einer wohlhabenden, alteingesessenen Familie, aber sie gehörte nicht zu den ersten Kreisen von Florenz, und niemand würde sie wahrnehmen, es sei denn, Großmutter ließ ihre Verbindungen spielen, was langwierig war und oft genug erfolglos und in diesem Fall überhaupt unmöglich, denn die alte Frau würde sich für Rossi nicht einsetzen.
»Da rüber?«, vergewisserte sich Adolfo und zeigte zu der Brücke, die sich über den glitzernd trüben Arno spannte.
Cecilia nickte. Der Ponte Vecchio wurde auf beiden Seiten von Häusern flankiert, so dass man sich wie in einer Marktgasse vorkam, wenn man den Fluss überquerte. Nur dass hier niemand vor den Türen Waren anpries. Wer auf dieser Brücke flanierte, fand den Weg in die vornehmen Läden der Goldschmiede von selbst. Über den Geschäften zog sich der Corridoio del Vasari entlang, der Geheimgang der Herrschenden, der beim Palazzo Vecchio seinen Ausgang nahm und bis zum Palazzo Pitti führte, wo der Granduca sich aufhielt, wenn er in Florenz weilte. Was hoffentlich in diesem Moment der Fall war. Denn sonst wäre Rossis Reise vergebens gewesen. Was wünsche ich eigentlich wirklich? fragte sich Cecilia. Helfen Sie mir , Signorina . Brunos verzweifeltes Gesicht, als Lupori ihn abführte. Und wenn du es selbst warst, der Leo sein grausames Ende bereitete?
»Da«, sagte Alfredo.
Cecilia dachte zuerst, er wollte sie auf das Ende der Brücke aufmerksam machen. Ihr Blick folgte der Richtung, in die sein Arm wies. Sie sah einen schäbigen Reisewagen, der den Durchgang blockierte, weil das Pferd sich mit einem Bein in einem Korb verfangen hatte und scheute. Passanten wichen zur Seite, der Kutscher brüllte und fluchte …
»Ein Fuchs, Signorina, mit heller Mähne. O ja, die Augen sind immer noch jung.« Alfredo drückte Cecilia die Zügel in die Hand, griff hinter sich nach der Flinte, überlegte es sich aber und steckte stattdessen die Pistole ein. Im nächsten Augenblick war er vom Bock. »Sie haben den Mann mit dem Fuchs gesehen?«
»Folgt uns seit dem Morgen. Habe ihn zweimal entdeckt und jetzt wieder, und dieses Mal schnappe ich ihn mir.«
»Warten Sie, Adolfo!« Cecilia wollte ihn zurückhalten. Was hatte er vor? Den Verfolger niederschießen? Verhaften konnte er ihn nicht. Er würde ihn nicht einmal aufhalten können, als Privatperson ohne Befugnisse. Und welcher Sbirro würde einem zerlumpten alten Mann beistehen? Was er tat, war töricht und wahrscheinlich gefährlich.
Sie rief vergebens. Der Fischer boxte sich mit den mageren Ellbogen den Weg durch die Menge frei. Seine abstehenden Ohren und die armselige Kleidung ließen ihn zwischen den wohlhabenden Passanten seltsam hilflos wirken – ein gerupftes Huhn, das sich zwischen Pfauen verirrt hat, dachte Cecilia. Einen Moment erwog sie, die Kutsche im Stich zu lassen, doch der alte Mann war bereits an dem Reisewagen vorbeigehuscht und in der Menge verschwunden.
Der Palazzo Pitti war einer der glanzvollsten Paläste Italiens und der größte von Florenz. Trotz der dreihundert Jahre, die er auf dem Buckel hatte, und trotz der vielen wesentlich moderneren Konkurrenzbauten hatte er sich als gesellschaftlicher Mittelpunkt der Stadt erhalten. Einer der Gründe waren sicher die Boboli-Gärten, die sich an seine hintere Fassade schmiegten. Im Amphitheater wurden Opern und Tragödien aufgeführt, es gab Wasserspiele, Terrassen und versteckte Winkel, eine Grotte und nicht zuletzt ein Kaffeehaus, in dem sich die reichen
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