Glaesener Helga
Form eines Körpers unter einer Decke, und einen schrecklichen Moment lang, in dem sie nichts als das Tropfen der Flüssigkeiten hörte, glaubte Cecilia, Francesca wäre tot. Sie eilte zur Bettstatt, fasste die eiskalte Hand und atmete erleichtert auf, als die Seifensiederin den Kopf drehte.
Francesca stieß ein Geräusch aus, das wie ein Hä ! klang, ungeduldig, resigniert, wütend.
»Es tut …«, begann Cecilia.
»Es tut Ihnen leid, dass ich mich zur Närrin gemacht habe. Und Sie sind gekommen, um mir das zu sagen. Besten Dank. Sie können wieder verschwinden.«
Cecilia ging zu dem kleinen Fenster über dem Esstisch und stieß die Läden zurück, um Licht hereinzulassen. Die Seifensiederin hielt ihr Haus sauber. Der Lehmboden war penibel gefegt, das Kochgeschirr in den Regalen glänzte. Sie sah, dass das Kleid, mit dem Francesca in der Trülle gesteckt hatte, auf dem Boden lag. Die Schultern und die linke Brust der Frau lugten weiß unter der Decke hervor.
»Rossi kann nichts tun«, sagte sie, »weil das hier nicht sein Bezirk ist. Er darf nur in seinem eigenen Gebiet Untersuchungen anstellen.«
»Hat er mir auseinandergesetzt, in aller Breite!« Francesca streifte die Decke ab. Nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, stemmte sie sich auf die Füße. Cecilia blickte, peinlich berührt von dem Gedanken, was Rossi betrachtet und was er empfunden haben mochte, als er seine Affäre pflegte, zur Seite. Dennoch hatte sie einiges bemerkt. Dass Francesca einen schlanken, muskulösen Körper besaß, dem die harte Arbeit anzusehen war. Dass ein roter Blutschwamm über ihrer linken Hüfte prangte. Dass ihr das linke Bein bis zum Knie amputiert worden war. Dass sie dennoch nicht verkrüppelt wirkte, sondern – anmutig.
Ungerührt humpelte die Seifensiederin zu einem Vorhang, zog ihn auf, nahm ein frisches Kleid von der Stange und streifte es über. Als Cecilia sie wieder anblickte, saß sie auf einem Stuhl und zog sich den Stiefel heran, den sie an den Fleischstummel schnallte. Ihre Bewegungen wirkten rasch und geübt. »Die Krücke.«
Cecilia reichte ihr das Gewünschte.
Mit einem Schwung, dem man ebenfalls die lange Routine ansah, kam Francesca auf die Füße. Sie humpelte voran – allerdings nicht in die Werkstatt, sondern zu einer kleinen, äußerst schmalen Tür, die in eine Art Schuppen führte.
Die Fenster des Schuppens besaßen keine Läden, nicht einmal Scheiben, und sie gingen nach Osten – so war es hell in dem Raum. Francesca hinkte zu einer Bank, auf der ein billiger Sarg stand.
O Gott , nein . Bitte nicht .
Sie schlug den Sargdeckel zurück und winkte Cecilia heran. Dabei wandte sie ihr die verunstaltete Gesichtshälfte zu – eine Hexe, mit einem Lächeln, das Böses verhieß.
Ich will das nicht . Ich brauche mir das auch nicht anzusehen . Rossis Liebchen …
Wie von Fäden gezogen, trat Cecilia zum Sarg.
»Und das geht ihn nichts an, ja?«, wisperte Francesca.
Der Tote war bis zur Nase von einer mit Baumwolle unterlegten weißen Spitzendecke verhüllt. So sah Cecilia zunächst nur ein feines Gesicht und seidige, schwarze Wimpern, die unerwartet weiblich über den geschlossenen Augen lagen.
Francesca schlug die Decke zurück.
»Ich will, dass Sie es sich ansehen«, befahl Cecilia wenig später mit mühsam beherrschter Erbitterung dem Sbirro, der am Lando lehnte, mit dem Zügel spielte und so tat, als bewundere er die versumpfte Wiese auf der anderen Seite des Weges.
»Also, Signorina …«
»Auf der Stelle!«
Sie scheuchte ihn vor sich her, durch die Seifensiederei und die Kammer bis in den Schuppen. Der Sbirro blieb stumm, als er den verwüsteten Körper des Ermordeten betrachtete. Seinem plumpen Gesicht war keine Regung anzusehen.
»Haben Sie auf die Finger geachtet?«, fauchte Cecilia, während Francesca auf der anderen Seite des Sarges ausharrte und sie beobachtete. »Seine Fußsohlen. Ich will, dass Sie sich das einprägen. Hier …« Wie hieß dieser Knochen in der Mitte des Knies? Wer bei Großmutter Bianca aufgewachsen war, wusste nicht, was sich zwischen Hals und Füßen befand. »… die Finger …« Das Gemächt ließ sie bedeckt. Es gab Grenzen, auch wenn Francesca sie in ihrer übermächtigen Trauer aus den Augen verloren hatte. »Und nun fahren wir nach Montecatini zurück«, sagte Cecilia. »Sie, Francesca und ich.«
»Er kann nichts tun, Signorina. Ich weiß, es ist für eine Dame nicht leicht, das zu begreifen …«
»O doch, er kann, Bruno. Er kann.«
Sie suchten Rossi in seinem
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