Glaesener Helga
sollen, dachte sie. Theatralisch! Und damit meinte sie nicht das Märchen, sondern sich selbst.
Ein Blick zur Seite zeigte ihr, wie Rossi sich zu Francesca beugte und mit ihr plauderte. Man hätte meinen sollen, zumindest die Seifensiederin besäße genügend Verstand, um zu begreifen, wie unpassend sie sich benahmen. Aber Francesca genoss ja den Status einer Exzentrikerin, die sich um nichts scherte. Nur – Rossi war Teil der besseren Gesellschaft der Stadt, ob ihm das nun passte oder nicht. Cecilia bekam eine Ahnung davon, was Grazia zu ihren Wutanfällen getrieben haben mochte. Als der Schlussapplaus aufbrandete und der Vorhang fiel, stand sie als eine der Ersten auf. Die Ingenieursgattin erklomm über eine dreistufige Holztreppe die Bühne und pries auf dem winzigen Proszenium wortreich das Talent der Schauspieler, den unübertrefflichen Geist Carlo Gozzis und den Wettergott, der es gut mit ihnen gemeint hatte. Einer der Schauspieler – dieses Mal nicht Smeraldina – war um die Bühne herumgelaufen und schoss vom Thespiskarren aus ein Feuerwerk in die Luft. Als hätte die Rakete die Wolken angestochen, begann es plötzlich zu nieseln. Noch ein Grund zu Gelächter. Cecilia raffte ihren Mantel und schob sich durch die Menge zu den Resten des alten Burgtores, hinter dem, von Signora Bondis Lakaien bewacht, die Kutschen standen.
Sie musste einen Moment warten. Der Regen wurde stärker und scheuchte die Leute auf. Es gab ein unerwartetes Gedränge.
»Du bist also gekommen.«
Sie brauchte sich nicht umzudrehen. Sie fühlte den leichten Druck der Hand auf ihrem Arm und hörte die heisere Stimme. Er hatte sie aufgestöbert. In ihrem Kopf formierten sich die Sätze, die sie so sorgfältig gedrechselt hatte, um Inghiramo ihren Standpunkt klarzumachen. Aber die Worte, und mit ihnen die Menschen und Kutschen, die Bäume und das Gesträuch – alles schien sich im Regen aufzulösen wie ein Gemälde, das mit Wasser übergossen wird.
»Lass uns einen Moment zur Seite gehen«, bat Inghiramo. »Nur auf ein paar Sätze.«
Sie bogen in einen kleinen Pfad ein und stiegen über Erdhügel, Steine, Zweige und raschelndes Laub bergab. Das Wäldchen, das sie bald darauf durchquerten, griff mit seinen Zweigen nach ihren Kleidern, und der Regen trommelte auf sie herab und ruinierte mit köstlichem Ungestüm ihre Frisuren. Cecilia fühlte die Haarsträhnen an ihren Schläfen kleben.
Ich bin verrückt ! »Hör zu …«
Er hörte nicht zu. Das hatte er niemals getan. Stattdessen lachte er sie an, und ihr Herz wurde weich, als sie das ungekünstelte Glück in seinem Gesicht sah.
Er musste das Gelände in der Probenzeit gründlich kennengelernt haben, denn er führte sie, ohne auch nur einmal zu zögern oder sich umzuschauen, immer tiefer in den Wald hinein. Als sie einen breiteren Weg erreichten, begann er zu laufen, und weil er sie bei der Hand hielt, musste sie ihm im gleichen Tempo folgen, was seltsame, übermütige Empfindungen in ihr auslöste. Ich segle auf den Wolken …
Ich bin verrückt !
Es ging über Stock und Stein, bestimmt eine Viertelstunde lang. Cecilia merkte, wie sie einen Schuh verlor, doch Inghiramo erlaubte ihr nicht innezuhalten. Sie kämpfte mit dem Lachen. Herrgott, war sie lebendig! Inghiramo zog sie wieder durch Gebüsch und Sträucher, bis sie sich auf einer zauberhaften, kleinen Lichtung wiederfanden, mit Mondeslicht, trotz des Regens, und einem Polster aus Moos. Natürlich hatte er den Ort sorgfältig ausgesucht. Ein Theatermensch eben, dachte sie nachsichtig und entwand ihm ihre Hand.
»Ich liebe dich.«
Nein, bei aller Zauberei … Cecilia seufzte. Ihr letztes Gespräch würde nicht auf diese Weise geführt werden. Das musste er einsehen. Sie war nicht mehr das junge Mädchen, das er vor vierzehn Monaten verlassen hatte.
Er legte den Finger auf ihre Lippen, als hätte sie ihre Bedenken laut ausgesprochen. »Bitte, ich muss es dir erklären. Ich war töricht. Ich hatte Angst. Ich glaubte …« Er lächelte, was sie an dem weißen Aufblitzen seiner Zähne sah. »… dem Schlamassel entkommen zu können, wenn ich nur schnell genug rannte. Aber es war unmöglich. Du gehörst als Hexe verbrannt. Du hast mir deinen Namen auf die Lippen gelegt, so dass ich nichts anderes mehr stottern konnte als Cecilia . Du hast mein Herz durch magische Ketten an deines geknüpft. Ich komme nicht los, ich bin gefangen, ich habe meinen Willen verloren …« Sein Lachen klang unsicher, atemlos.
Er meint es tatsächlich so, dachte
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