Glaesener Helga
Cecilia und war schon wieder gerührt.
»Komm mit mir. Ich habe dir nicht viel zu bieten, aber ich besitze die Gunst der Königin von Neapel. Carolina ist nicht so bigott wie ihr großherzoglicher Bruder. Sie ist ein Mensch, der sich gern amüsiert. Sie wird es dulden, dass du bei mit lebst. Hingerissen wird sie sein. Braucht nicht jeder Dichter eine Muse?«
Muse, dachte Cecilia. Vor einem Jahr wäre ihr diese Vorstellung wie der Gipfel der Romantik vorgekommen. Die Muse eines reimenden Genies … Das rätselhafte und bezaubernde Geschöpf, das allein den Dichter zu seinen kühnen Werken inspirieren und ihn auf den Gipfel der Untersterblichkeit tragen kann.
Benutzt , ging es ihr nun stattdessen durch den Kopf. Muse zu sein hieß doch nichts anderes, als wiederum ausgebeutet zu werden. Es gab einige Dinge, die hatte sie wirklich satt.
Inghiramo zog sie an sich. Sie roch seine Haut – Schweiß, der Duft des Puders auf seinem Gesicht, Männlichkeit –, die Mischung hatte ihr bereits vor Jahresfrist den Verstand verdreht. »Und wenn dir das nicht recht ist, Cecilia, miete ich dir eine Villa. Sei, was du sein möchtest. Schreibe selbst, wenn dir daran liegt. Musiziere. Eröffne einen Salon und entzücke die Neapolitaner mit deinem Witz und deiner Schönheit. Sie werden dir zu Füßen liegen, ich schwöre es.«
Also doch nicht benutzt?
»Lass mich in dein Haus, wenn es dir beliebt, und weise mich von der Schwelle, wenn ich dein Missfallen errege. Jeder Augenblick, den ich in deiner Gunst verbringen darf …«
»Du hattest mich geschwängert«, sagte Cecilia.
Sie spürte, wie sein geschmeidiger Körper bei dem groben Wort erstarrte.
»Im Gartenhaus, du weißt schon. In der Nacht …«
»Ein Kind!«
»Ich sage es doch.«
»Barmherziger Gott. Und ich …« Er starrte sie betroffen an. »Ich habe dich verlassen! In solch einer Not. Du musst die Hölle durchlebt …«
Jetzt hatte er es endlich begriffen!
»Du musst mich gehasst haben.«
»Habe ich!«, versicherte sie ihm.
Der Mond schien auf sein bestürztes Gesicht. Unsicher nahm er ihren Kopf zwischen die Hände. »Das kannst du mir nicht vergeben!«
Und noch während er es sagte, spürte sie, wie sie es dennoch tat. War es nicht im Grunde eine Ungeheuerlichkeit der Natur, etwas so Schwerwiegendes wie eine Schwangerschaft auf eine flüchtige Berührung zu gründen, auf einen kurzen Moment der Lust – den sie, nebenbei bemerkt, nicht einmal empfunden hatte. Auf die Scham, nein zu sagen, wenn man sich im Stadium höchster Verwirrung befand?
Er küsste sie, und sie wusste, sie sollte ihm das verbieten, und genau das tat sie auch, indem sie ihn resolut von sich schob. Ein federnder Zweig ließ ihr einen Schwall kalten Wassers in den Nacken laufen, und sie schüttelte sich. »Willst du nicht wissen, wie es weiterging?«
»Gewiss will ich das. Wo lebt das Kind?«
»Ich habe es verloren.«
Ratlos blickte er sie an.
»Während der Schwangerschaft. Ich habe es verloren, noch bevor es geboren wurde«, erklärte sie ungeduldig.
Erleichterung machte sich in dem hageren Gesicht breit. »Ja, dann … Oh Liebste, in all der Pein, die du durchleiden musstest: Welch ein Glück!«
Glück? Cecilia wusste nicht, was sich in ihrem Gesicht spiegelte, aber sie sah, wie er verwirrt aus ihr schlau zu werden versuchte. Er nannte es also ein Glück, dass sie das Kind unter ihrem Herzen in einem Schwall von Blut verloren hatte? Ihr eigenes Kind? Sein Kind? Er nannte es ein Glück, wenn ein hilfloses Geschöpf tot in einem stinkenden, braunen Brei endete, weil die Mutter ihm den Lebensraum abgeschnürt hatte?
»Es hätte an dir gehangen wie ein Mühlstein. Man muss das vernünftig sehen«, meinte Inghiramo unsicher und ausnahmsweise einmal überhaupt nicht poetisch.
»Scher dich zum Teufel.«
Er schüttelte den Kopf. Statt zu gehorchen, nahm er sie in die Arme und drückte ihr einen weiteren Kuss auf. Zunächst war sie überrascht, dann wurde sie wütend. Doch dieses Mal ließ er sich nicht wegschieben. Die Umarmung wurde heftiger, und seine Zunge drängte gegen ihre Zähne. Angeekelt versuchte sie, den Kopf fortzudrehen, was ihn aber noch mehr aufzustacheln schien. Was bildete er sich ein? Dass ihr Sträuben eine Zustimmung war, die sich weiblich gebärdete? Hatte sie genau das nicht schon einmal erlebt?
In ihrer Hand baumelte das Ridikül, in dem sie schwer das Gewicht der Pistole spürte. Sie würde ihn damit natürlich nicht erschießen, aber sie empfand den überwältigenden Drang, ihm das Ding
Weitere Kostenlose Bücher