Glaesener Helga
Arbeitszimmer auf. Der Raum war bestens geeignet, fand Cecilia. Hier grübelte der Richter über die grandiose Justizreform, die dem Granduca ewigen Ruhm und den Einwohnern der Toskana Gerechtigkeit bescheren sollte – hier sollte er sich gefälligst auch der Tatsache stellen, dass diese Gerechtigkeit von Seinesgleichen mit Füßen getreten wurde.
Rossi blickte auf, als sie eintraten. Er hielt seinen Füllfederhalter mit Stahlfeder in der Hand – die neueste Erfindung auf dem Gebiet des Schreibens und von ihm heiß geliebt. Als er sah, wer Cecilia folgte, lehnte er sich zurück.
»War nicht meine Idee.« Bruno klemmte sich in den Winkel, der der Tür am nächsten war, und schaute noch mürrischer als während der Fahrt.
»Rossi …« Cecilia durchquerte den Raum, stützte die Hände auf die Schreibtischplatte und blickte dem Giudice in die Augen. »Die Fingernägel herausgerissen, die Fußnägel ebenfalls. Das Knie zerschmettert … Er wurde nicht nur umgebracht – er wurde gemartert. Und dann die Bisswunden, diese schrecklichen Wunden …« Sie sprach leise, denn sie ahnte, dass jede Silbe wie ein Dolchstoß ins Herz der armen Francesca fuhr. »Und du bist doch zuständig.«
Seine Blicke wanderten über ihre Schulter zu Francesca. Sie konnte seine Abwehr spüren.
»Ja«, erklärte die Seifensiederin dumpf. »Du bist es
– weil Mario und ich Einwohner von Montecatini sind.«
»Die beiden leben bei Salvatore Bonzi, der ihr Onkel ist«, sagte Cecilia. »Salvatore wohnt …«
»Ich weiß, wo Salvatore wohnt.« Rossi verschränkte die Arme über der Brust.
»Er hat sie nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen.«
»Und ich hätte gedacht, sie wären nach Ponte Buggianese gezogen.«
Cecilia wappnete sich gegen seine Verärgerung. »Francesca arbeitet bei den Sümpfen. Sie wollte ihre Werkstatt in der Nähe des Sees haben, in dem ihr Bruder fischte. Gewohnt haben sie bei Salvatore. Dort steht Francescas Bett, dort hängen ihre Kleider.«
»Er ist der Vater des Cousins meiner Mutter«, sagte Francesca.
»Und dort steht dein Bett?«
»Pass auf, was für Worte du in den Mund nimmst«, fauchte sie ihn leise und böse an.
Rossi blickte auf seinen Füllfederhalter. Dann sah er wieder auf. »Gibt es etwas Schriftliches, das deine Verwandtschaft mit Salvatore bezeugt?«
»Wir leben im Schweinekoben, aber wenn unsere Kinder geboren werden und unsere Mütter sterben, lassen wir es ins Kirchenbuch eintragen«, zischte Francesca.
»Salvatore ist geistesschwach.«
»Was ihm nicht sein gutes Herz geraubt hat. Als meine Mutter starb, stand seine Tür für uns offen. Ich habe dort gelebt, die ganze Zeit. Ich wohne in Montecatini, egal, wie es dich stört.«
»Und das vergisst Salvatore auch dann nicht, wenn man ihm zusetzt?«
»Nein«, behauptete Francesca, doch mit dieser Frage hatte er tatsächlich einen wunden Punkt berührt. Sie hatten Salvatore aufgesucht, bevor sie zu Rossi gingen. Sie hatten in der ärmlichen Kate einige Nägel eingeschlagen, an denen sie Francescas Kleider aufhängten, und ihm über einem Becher zuckrigen Malvasias erklärt, dass Francesca und Mario bei ihm wohnten. Es freute ihn, aber an Mario konnte er sich leider überhaupt nicht erinnern. Eine seiner Dachschindeln war lose. Bei Regen tropfte es hinein. Seine Ziege war trächtig. Der Käse heuer gut. Welcher Mario?
Das macht nichts, mich kennt er – ich besuche ihn oft, hatte Francesca erklärt. Nicht ganz so oft, wie sie es gern getan hätte, aber oft genug, um zu sehen, ob er sich gelegentlich wusch, und um ihm ein Brot und etwas Käse auf den Tisch zu legen. Und seine Francesca hatte er ja auch glücklich in die Arme geschlossen.
Rossi seufzte. Wieder starrte er auf den Federhalter, als könne der ihm Erleuchtung bringen. »Ist Salvatore Jude?«
Cecilia sah es nicht, aber sie fühlte, wie Francesca in ihrem Rücken erstarrte. »Du bist ein …«
»Ich frage, weil es ein Gesetz gibt, dass den Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden unter Strafe stellt. Das Argument ist: Wenn Christus sagte, es sei nicht fein, den Kindern das Brot fortzunehmen, um es den Hunden zu geben, und er unter den Hunden die Heiden verstand, so ist es für einen Christen …«
»Warum redest du so?«, fragte Francesca spröde.
»Weil morgen Lupori so reden könnte. Wenn er dir nämlich unterstellt, dass du ein Verhältnis …«
»Salvatore ist ein Christ wie du und ich. Und er ist mein Onkel.«
Wieder seufzte Rossi.
»Also?«
»Francesca – du bist für den Giusdicente
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