Glaesener Helga
Signore hatte das Sagen, seine Frau gehorchte ohne Widerspruch. Auf der Treppe drehte sie sich noch einmal um. »Vincenzo ist ein guter Junge. Der Dottore sagt das auch. Ein guter Junge. Er kann nichts dafür. Er ist einfach nur … verwirrt.« Ihre kleine, weiße Hand flatterte und sie wirkte mit einem Mal schrecklich jung. Begütigend nahm die Zofe ihren Arm und half ihr die Stufen hinauf.
Signore Camporesi warf sie nun, da seine Frau verschwunden war, tatsächlich hinaus, wenn auch mit der Höflichkeit eines Mannes von Stand.
»Und was war nun mein Teil der Aufgabe?«, fragte Cecilia, als sie zwischen den knospenden Frühblühern zur Kutsche zurückgingen.
»Ich wollte die Mutter sehen, nicht nur den Vater.«
»Und? Zufrieden?«
»Ihr Vincenzo ist also ein guter Junge, und das musste sie wiederholen, weil sie dachte, wir würden es nicht glauben. Ja, es war interessant. Hast du den Orden gesehen, den Signore Camporesi unter der Weste getragen hat?«
»Nein.«
»Ein Kreuz, weiß und Gold, der militärische MariaTheresien-Orden. Kein schnellerer Schlag des Herzens?« Er lachte, während er ihr in die Kutsche half. »Frauen! Den Orden gibt’s weder für Geld noch für Beziehungen. Er wird für besondere Tapferkeit in der Schlacht verliehen, für eine Heldentat, die ein Offizier von Ehre ohne jeden Tadel auch hätte unterlassen können. Camporesi trägt ihn, er ist also ein Held. Sein Bruder scheint sich ebenfalls die Meriten verdient zu haben. Und nun … Vincenzo.«
»So etwas kann vorkommen.«
»So etwas kommt sehr oft vor. Die Frage ist nur: Warum hat sein Vater uns davon erzählt? Ich habe ihn nicht gedrängt, nicht gestochert … Ich hatte einfach nur gefragt. Und es schien ihm sonst nicht gerade ein Bedürfnis zu sein, uns sein Herz auszuschütten.«
»Wahrscheinlich ist er davon ausgegangen, dass wir sowieso Bescheid wissen«, meinte Cecilia.
»Er hätte die bittere Geschichte trotzdem für sich behalten können. Er musste das nicht aussprechen. Zwei Fremde, die ihm ins Haus platzen! Hast du gesehen, wie er gelitten hat, als er von Vincenzos Feigheit erzählte? Warum hat er sich das angetan?«
»Ja, warum?«, echote Cecilia ratlos.
»Weil die Wahrheit noch schrecklicher gewesen wäre?«, schlug Rossi vor.
»Welche Wahrheit?«
»Genau das ist die Frage. Da die Signora es so oft betont hat, ist ihr Vincenzo vermutlich nicht der brave Junge, als den sie ihn gern sähe. Was also hat er angestellt, das schlimmer ist, als in der Schlacht das Hasenpanier zu ergreifen? Und wie kriegen wir’s heraus?« Sein Blick schweifte zum Pferdestall – einem kleinen Palast, ebenfalls mit Arkadenbögen –, vor dem ein alter Mann in ruhiger Gemütlichkeit das Stroh zusammenkehrte.
»Das wäre äußerst unhöflich«, sagte Cecilia. »Man horcht die Dienerschaft nicht aus. Außerdem könnte Signore Camporesi jeden Moment auftauchen.«
Er nickte bedauernd.
Der alte Mann zog ehrerbietig den Strohhut, als sie an ihm vorüberfuhren. Er musterte Emilia mit dem Blick eines Fachmanns, versuchte Tier und Herrschaft miteinander in Einklang zu bringen, schaffte es nicht und starrte ihnen ratios nach. Rossi lenkte die Kutsche auf die Hauptstraße zurück.
»Aber es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn die Dame einer anderen Dame einen Besuch abstattet?«
»Warum das?«, fragte Cecilia.
»Ich fürchte, ich muss mich ein wenig in den Schenken herumtreiben.«
Die andere Dame wohnte in einem Gässchen in Pistoia und hieß Fiamma. Sie besaß einen kleinen Laden, in dem sie Schokolade herstellte, die sie an die Kaffeehäuser, aber auch an einige Privathaushalte in der Stadt verkaufte. Ihr Kleid besaß ein atemberaubendes Dekolleté, und an ihren Fingern blitzten falsche grüne Diamanten. Während sie in einem Mörser die Schokoladenbröckchen zermahlte, erzählte sie von den Preisen für Kakao, Cassonade, Chilischoten und Alexandriarosen, von dem Modejournal, das sie von einer Freundin ausgeliehen hatte, und von dem lieben Enzo, den man futtern und füttern musste, damit er nicht Hungers starb, ohne es zu merken. Sie erzählte von der Razzia, die die Polizei durchgeführt hatte, als ein maskierter Mann den Angestellten eines Schiffsversicherungsunternehmens niedergestochen hatte … »… eine Liebesgeschichte, vertrauen Sie mir, Signorina!«, und nochmals von dem lieben Enzo, der die Schokolade nur noch mit Pfeffer trank, seit sie ihm einmal davon zu kosten gegeben hatte. »Die Schokolade wird ihn vom Verhungern abhalten, denn sie ist
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