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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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wiederholte sie das Wort, es klang mädchenhaft, beinahe wie eine gemurmelte Formel.
    Meine Hand strich wie von Fäden gelenkt die Haare aus meiner Stirn, ich schwitzte wahnsinnig und fühlte mich fiebrig. Vertrug ich nun keinen Wein mehr? Und wo war Giniver eigentlich? Ich passierte ein winziges, mit einem blutroten Tuch verhangenes Etwas, blickte vorsichtig darunter. Mein schmales Gesicht, kalkweiß, mit schwarzen Ringen unter meinen Augen, blickte mir entgegen. Die Schmerzen in meiner Brust und in dem abgebundenen Arm nahmen ihnen das Gold und ließen sie stattdessen schmutzig braun erscheinen. Ein feiner Schweißfilm überzog meine Stirn und Wangen und auf einmal erblickte ich zum ersten Male seit vielen Jahren auf diese Weise: Sie. Sie starrte mich durch mich und den Spiegel hindurch an. Nicht ihre Augen, sondern ihr ganzes Gesicht, als hinge dort ein Gemälde, vernebelt mit dem meinen. Das Bildnis schwamm kaum merkbar wie in flüssigem Blei und zuckte immer wieder unkontrolliert, so dass sie manchmal einen kurzen Augenblick teilweise oder ganz verschwand. Das Gesicht der Lady beugte sich mir entgegen, schürzte die Lippen und sagte das Wort erneut: »Opferzeit.«
    Ich blinzelte einige Male, legte den Kopf schief; ich verstand sozusagen null. Ich wollte nichts opfern. Zumindest nicht im wirklichen Sinne. Wobei mir die schlagenden Herzen von Kieran und Lord Sandy auf einem spitzen Stock ganz gut gefallen würden. Vielleicht aber jemand anderes? Heute Nacht? Und wer? Ich stellte ihr selbst stumm diese Fragen. Zur Antwort lächelte meine Lady und ich versprach ihr, diese Nacht wachsam zu sein. Beinahe schien es, als näherte sich ihr Gesicht der Oberfläche noch ein wenig mehr. Einen kurzen Moment dachte ich, sie würde mich durch das Glas hindurch küssen. Doch sogleich zog sie sich auch wieder zurück und verschwand mit leisem Knirschen aus dem Spiegel. Zurück blieb ein schwacher Riss, kaum sichtbar aber sicherlich messerscharf. Ich kam mir unglaublich töricht vor. Verstanden hatte ich noch immer nichts und machte mich ratlos in mein Zimmer auf.
    Obwohl mein Bett weich und der Raum warm war, so wie ich es am liebsten habe, schlief ich schlecht ein. Stattdessen dämmerte ich lange vor mich hin, betrachtete Giniver, die bereits neben mir in den flauschigen Laken lag und tief und fest schlief, und sinnierte über die Spiegelmagie – wie Lord Sandy sich gefürchtet hatte vor den Augen im Spiegel, wie Kieran die spiegelnde Oberfläche des Brunnens mied, über die aberhunderten Spiegel, die daheim im Herrenhaus die Gänge säumten und wie diese scheinbar seit kurzer Zeit brachen.
    Ich kroch zum Fußende, fingerte in meiner Manteltasche herum und ertastete dabei tatsächlich den Brief des Grafen an seinen geheimnisvollen Freund. Auch dieser schien die Macht der Lady immer gekannt zu haben und dachte zuletzt vielleicht sogar, sie am eigenen Leib zu erfahren. Meine Gedanken verworren zu verknoteten Fäden, legten sich gleichzeitig wie dünne Ketten um mich und schnürten mir die Brust zu. Wieder und wieder kamen sie bei Kieran an, stießen auf mehr und mehr Geheimnisse, die diesen Mann umgaben. Er kannte die Macht der Lady, empfand sie jedoch erstaunlicherweise als furchteinflößend und Hexerei. Ich hielt ihre Künste jedoch nicht für etwas Dunkles, bezeichnete sie eher als eine „alte“ Zauberkunst. Ihr Wunsch war es lediglich, ihre Familie zurückzubekommen, das sagte sie mir selbst vor der Ankunft Lord Sandys in Schottland. Ich vertraute ihr und ihrer Magie. Schließlich hatte ich ihr oft genug beim Sammeln von Kräutern und Knollen geholfen und es war nichts Düsteres dabei.
    Kieran war auf irgendeine Weise auch mein Freund, trotz seiner allzu zahlreichen Laster. Aber er vertraute mir nicht. Das wiederum war mir ein Dorn im Auge – seine nächtliche Flucht, die ich hinter blinden Fenstern beobachtet hatte, sein geheimnisvolles Verschwinden und unvermitteltes Auftauchen in jenem unheimlichen deutschen Wald. Der wirre Brief des Grafen Hektors von Waldeck. War dieses Schreiben schlussendlich doch für Kieran bestimmt? Der Jäger kannte die Macht meiner Lady zu gut. Doch zusammen mit der Grafentochter fortzulaufen, hatte selbst er nicht gewagt. Jedermann wusste, dass diese beiden mehr füreinander empfanden, als angesichts der Etikette angemessen schien. Außerdem war er von einem Edelmann oder gar Prinzen weiter entfernt als eine warzige Unke von einem Pfeilgiftfrosch.
    Das mehrmals geknickte Briefpapier glitt

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