Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
Vom Netzwerk:
durch meine Hand. Ich faltete es auf, las es nochmals durch. Bald tanzten die Buchstaben vor meinen Augen und mir war nun klar, dass es tatsächlich nur für Kieran bestimmt sein konnte. Ich dachte lange nach und beschloss irgendwann, dass er den Brief auch erhalten sollte, entsann mich jedoch, dass ich ihn zuvor für Lady Amaranth abgefangen hatte und er lediglich in meinem Besitz gelangt war, um ihn Sandy zu zeigen. So beschloss ich, Eirwyn solle ihn erhalten – damit war ich in zweierlei Hinsicht aus dem Schneider. Ich sank etwas erleichtert zurück in die Kissen. Zum ersten Mal in meinem Leben traf ich eine eigene und vielleicht nicht ganz unwichtige Entscheidung.
    Ein plötzlicher lauter Knall, als würde jemand Glas auf Stein zerwerfen, ließ mich erneut aufschrecken. Ich suchte mit meinen Augen den Boden ab und tatsächlich: eines der Kristallgläser, das auf dem Tischchen in der Mitte des Zimmers gestanden hatte, lag zerbrochen und glitzernd auf dem Boden. Es war keine meiner Stärken, codierte Warnungen zu erkennen, und so klaubte ich die großen Scherben auf und legte sie achtlos auf das Nachttischchen. Eine der gezackten Scherben schnitt sich dabei tief in meinen Finger und ich jammerte, als ich das dicke Glas vorsichtig aus Haut und Fleisch zog. Ich hielt sie gegen das Licht, wo sie dunkelrot schimmerte. Übelkeit stieg in mir auf, dennoch zog mich etwas am Schlafittchen wie ein Sog. Auf wackeligen Beinen schlich ich wie in Trance aus dem Zimmer, den stark blutenden Finger an mich gepresst und bemüht, nicht zu jammern, um Giniver nicht zu wecken.
    Ein ungewohntes Gefühl nach Abenteuerlust und der Wunsch, ein Geheimnis zu lüften, machten sich plötzlich und rücksichtslos in mir breit. Unwirsch legte ich die Armbinde ab und warf sie auf einen kleinen Sessel. In meinem Kopf steckte für gewöhnlich kein Kriminaldetektiv, eher war ich zurückhaltend und ideal für eine klassische Hintergrundfigur.
    Ich passierte den kleinen Spiegel, dessen nun wieder glatte Oberfläche nur mein eigenes Profil wiedergab, wie ich aus dem Augenwinkel sah. Das blutrote Tuch lag noch immer auf dem Boden. Anstatt es wieder zurückzuhängen, trat ich darauf, spähte durch verschiedene Schlüssellöcher, um einen Waschraum zu finden.
    Plötzlich erschrak ich so sehr, dass sich meine malträtierte Brust erneut schmerzhaft zusammenzog. Auf einem der Türrahmen saß tatsächlich Jezabel! Sie hatte ich seit unserer Abreise nicht mehr gesehen. Noch ehe ich ein Wort an sie richten konnte, hob sie ein wenig die Flügel, als wollte sie mich auf diese schmale Tür aufmerksam machen. Mit dem Schnabel nickte sie mir zu. Ohne sie aus dem Augen zu lassen, drückte ich die Klinke hinunter. Vorsichtig trat ich ein. Dahinter lag ein ungeheizter Raum, sehr klein und lediglich mit ein paar Schränkchen mit Nippes, wie rosenverzierten Porzellantöpfchen und weißen, sich seltsam windenden Glasfigürchen mit Elfenflügeln bestückt.
    Jezabel segelte auf den Boden hinab, hüpfte ungelenk auf mich zu und setzte sich auf meinen Arm. Ihre Fänge krallten sich schmerzhaft in mein Fleisch. Ich keuchte auf und wedelte unkontrolliert mit dem noch immer tauben Arm, um sie abzuschütteln. Doch sie sah mir mit ihrem immerschwarzen Blick tief in die Augen und deutete mit dem Köpfchen auf eine gläserne Vase zwischen zwei goldenen Bilderrahmen mit Jagdmotiven. Ich verstand nicht sofort, daher stieß sie mit dem Schnabel gegen die Vase, so dass diese kippte und ich sie gerade noch auffangen konnte. Mein Fleisch kribbelte unangenehm, als wieder Blut durch meine zusammengepressten Adern floss und beinahe hätte ich das Gefäß nicht aufgefangen. Ungehalten blickte ich das garstige Vieh an. Dennoch nickte sie weiterhin zur Wand, wo die Vase gestanden hatte. Dahinter entdeckte ich ein kleines Loch, das unregelmäßig in die Wand geschlagen worden war, oder eher gepickt, wie mit einem Schnabel … Der Druck auf meiner Haut verschwand und ich war mit einem Mal allein im Zimmer; Jezabel wie immer geräuschlos verschwunden, ein finsterer Schatten in finsterer Nacht.
    Das Löchlein befand sich etwa einen Meter über dem Boden, eine äußerst ungemütliche Höhe. Ich sah mich um und entdeckte ein Fußschemelchen darunter, das ich mit dem Fuß etwas fortzog, um mich darauf zu stützen. Es dauerte eine Weile bis sich meine Augen an das goldene Licht dahinter gewöhnt hatten. Ich blickte direkt in das Schlafgemach Eirwyns. Kurz war ich versucht, mein Spionageglas hervor zu

Weitere Kostenlose Bücher