GLÄSERN (German Edition)
zugange, die das Ende eines Zyklus bewirken.«
Kieran sah mich finster an. »Woher … ah, vergiss es. Was weißt du noch über Alban Nefin ? Und was tut sie da?«
Stolz schwellte ich die Brust. » Alban Nefin bezeichnet die tiefste Nacht des Jahres. Die alten Kelten glaubten, in dieser Nacht wandelt sich die Große Göttin von der Weisen Frau zur Weisen Alten und die Kräfte der Sonne nehmen wieder zu.«
»So etwas nennt man dann wohl Winterzeit«, raunte er mir ins Ohr.
Ich ignorierte seinen Spott und fuhr fort.
»Zur Sommersonnwende bricht die Dunkle Zeit an, welche von Tod und Erneuerung regiert wird. Sie reicht von Samhúin bis Imbolc . Dann erfolgt die Geburt der Göttin als Mädchen und der Kreislauf beginnt von Neuem. Imbolc nennt man die Monate vom …«
»Ich weiß, wann Imbolc ist!«, zischte er.
Ich fuhr zusammen, legte den Finger auf die Lippen. Hoffentlich hatte uns Eirwyn nicht bemerkt. Doch sie stand noch immer mit dem Rücken zu uns im Wasser. Ich fand es sehr unvorsichtig von ihr, allein hierherzukommen. Es überraschte mich, dass sie noch dem alten Glauben unserer Vorvorvorfahren, und so weiter, huldigte, die mit der letzten Sidhe aus den alten Ländern und Geschichten verschwunden waren. Die Menschen hatten sie in ihrer modernen Industriezeit mit seinen dampfbetriebenen Fähren schlicht vergessen. Doch ich mochte den alten Glauben sehr. Er erschien mir logischer und somit akzeptabler als derjenige der Katholiken. Doch im fortschrittlichen neunzehnten Jahrhundert war ein solcher Glaube nur noch albernes Hexenwerk.
»Träumst du?«
Kieran stieß mich in die Seite. Eilig blickte ich wieder zum Wasser. Eirwyn breitete die Arme langsam aus und führte sie über ihrem dunklen Haar zusammen wie biegsame Äste, bis sie sich über ihrem Kopf selbst umschlangen. Leise murmelte sie etwas vor sich hin. Ihre Stimme klang rau, zitternd. Ich verstand nur wenige Wortfragmente in gälischem Dialekt. Immer wieder hörte ich Wörter wie Fosgailtear na geataichean . Das bedeutet in etwa: Lasst die Tore geöffnet bleiben.
Kieran beobachtete das Ganze gespannt. Wenn ich Eirwyn später erzählt hätte, dass ihr Geliebter sie in einer solch intimen Situation begeistert ausspioniert hatte, hätte sie ihm sein Haar mit Vergnügen büschelweise ausgerissen. Ich kam kaum dazu, hämisch die Hände zu ringen, als ich beobachtete, wie sie langsam tiefer in die Fluten sank, die Arme noch immer erhoben, die Finger ineinander verhakt. Kaum für uns verständlich murmelte sie wieder etwas. Es klang wie Namen. Bei jedem Namen sank sie ein wenig tiefer in das Wasser. Bald waren nur noch ihre weißen Schultern zu sehen, dann tauchte auch ihr Haupt gänzlich unter. Einige Atemzüge lang verharrten wir gespannt. Kieran zappelte unruhig umher und machte Anstalten unsere sichere Deckung zu verlassen. Ich packte ihn am Arm und zog ihn zurück. Ernst schüttelte ich den Kopf.
»Sie vollzieht gerade eine Selbstweihe. Du darfst sie jetzt nicht stören.«
Es dauerte einige Augenblicke, in denen es mir eine Freude war, Kieran beim Wahnsinnigwerden zuzusehen.
»Welchen heidnischen Kram auch immer – so lange kann sie wohl kaum die Luft anhalten.«
Er riss sich heftig los, ohne seinen Blick von der stillen Wasseroberfläche zu nehmen und schlich geduckt auf die Quelle zu. Ich folgte ihm widerstrebend. Vorsichtig beugte er sich über das Ufer hinaus, um unter die Oberfläche zu spähen. Auch ich reckte mich auf Zehenspitzen. Aneinandergeklammert lugten wir in die silbrige Tiefe. Ungefähr drei Fuß unter uns wiegte die Strömung die Grafentochter wie auf unsichtbaren Armen. Der Netzmantel umfloss ihren Körper, wie um ihn vor unseren unverschämten Männeraugen zu bewahren. Ihre langen dunklen Strähnen wogten um ihr Gesicht und die Haarspitzen trieben keck auf der Oberfläche wie schwarze Algen. Der schneeweiße Körper drehte sich leicht von einer Seite auf die andere. Sie sah aus, als schliefe sie tief. Kleine Bläschen schmückten die Haut wie winzige Diamanten überall dort, wo kein Stoff sie spärlich umhüllte.
»Wie eine Wassernymphe im Netz«, bemerkte ich.
Plötzlich nahm ich eine vage Bewegung wahr. Ich sah tiefer hinunter. Tatsächlich: Ihre Lider zuckten leicht.
»Schnell. Sie erwacht!«
Hastig zerrte ich Kieran fort und wir stürzten uns wieder in die Farne am Rande der Lichtung. Beinahe gleichzeitig tauchte Eirwyn an die Oberfläche. Ihr langes Haar klebte an ihr, glatt wie das einer Nixe und reichte bis zur
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