Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
die Geschichte unserer Sitten so notwendig sind, daß wir hier den römischen Cicerone nachahmen müssen. Als sie also in den Speisesaal traten, konnte der Baron sich nicht enthalten, Esther den Stoff der Fenstervorhänge in die Hand zu geben; sie hingen in königlicher Fülle da; das Futter war aus weißem Moiré, und der Besatz bestand aus Posamenten, die der Büste einer portugiesischen Prinzessin würdig gewesen wären. Dieser Stoff war eine Seidenarbeit, die in Kanton gekauft war und auf der chinesische Geduld die Vögel Asiens mit einer Vollkommenheit darzustellen gewußt hatte, derengleichen man nur noch auf mittelalterlichen Pergamenten oder im Meßbuch Karls V., dem Stolz der Kaiserlichen Bibliothek in Wien, wiederfindet.
»Er hat ainen Lord, der ihn hat mitkepracht aus Indien, zwaitausend Franken die Elle kekostet ...« » Sehr hübsch ... reizend! ... Welch Vergnügen, hier Champagner zu trinken!« sagte Esther. »Hier wird der Schaum nicht schmutzig auf dem Boden!« »O gnädige Frau,« sagte Europa, »sehen Sie doch den Teppich! ...« »Da man den Deppich fier den Herzog von Dorlonia, mainen Freind, keßeichnet hatte und er ihn ßu teier findet, so hab ich ihn kenommen fier Sie, denn Sie sind aine Gönigin!« sagte Nucingen.
Durch einen Zufall paßte dieser Teppich, der von einem unserer genialsten Zeichner stammte, zu den Launen der chinesischen Draperie. Die Wände, die Schinner und Leo von Lora gemalt hatten, stellten wollüstige Szenen dar, die hervorgehoben wurden von Ebenholzschnitzereien; diese Schnitzereien waren für schweres Gold von Dusommerard erstanden worden, und einfache Goldstriche zogen sparsam das Licht auf sie. Auf alles übrige kann man jetzt schließen.
»Sie haben gut daran getan, mich herzuführen,« sagte Esther; »ich werde wohl acht Tage nötig haben, um mich an mein Haus zu gewöhnen und nicht wie ein Emporkömmling auszusehen ...« »Main Haus!« wiederholte der Baron voll Freude; »so nehmen Se an?« »Aber ja, tausendmal ja, dummes Tier,« sagte sie lächelnd. »Tier allain hädde kenügt ...« »Dumm ist nur Liebkosung,« erwiderte sie, indem sie ihn ansah.
Der arme Luchs ergriff Esthers Hand und legte sie sich aufs Herz: er war Tier genug, um zu empfinden, aber zu dumm, um ein Wort hervorzubringen. »Sehn Se, wie es bocht ... fier ein zärtliches Förtchen!« sagte er.
Und er führte seine Göttin (Keddin) in das Schlafzimmer. »O gnädige Frau,« sagte Eugenie, »hier kann ich nicht bleiben. Man hat zu große Lust, sich ins Bett zu legen.« »Also,« sagte Esther, »ich will den Zauberer glücklich machen, der solche Wunder vollbringt. Auf, mein dicker Elefant, nach dem Diner gehen wir zusammen ins Schauspiel. Ich habe einen wahren Heißhunger aufs Theater.«
Es war genau fünf Jahre her, seit Esther nicht mehr in ein Theater gegangen war. Ganz Paris ging damals in die Porte Saint-Martin, um dort eins jener Stücke zu sehen, denen die Kunst der Schauspieler den Ausdruck einer furchtbaren Realität verleiht: ›Richard Darlington‹. Wie alle naiven Naturen liebte Esther es ebensosehr, das Beben der Angst zu spüren, wie sich den Tränen der Rührung hinzugeben. »Wir wollen Frédéric Lemaître sehen,« sagte sie, »ich bete diesen Schauspieler an!« »Es ist ein fildes Trama,« sagte Nucingen, der sich im Nu gezwungen sah, sich bloßzustellen.
Der Baron schickte seinen Diener aus, damit er eine der beiden Proszeniumslogen im ersten Rang belege. Wieder eine Pariser Originalität! Wenn der Erfolg, das Geschöpf auf tönernen Füßen, einen Saal füllt, so ist stets zehn Minuten, bevor der Vorhang hochgeht, noch eine Proszeniumsloge zu vergeben; die Direktoren behalten sie für sich, wenn sich keine Leidenschaft wie die Nucingens für sie findet. Diese Loge ist wie das Frühobst Chevets ein Zoll, der auf die Launen des Pariser Olymps erhoben wird.
Es ist nicht nötig, vom Tischgerät zu reden. Nucingen hatte drei Garnituren zusammengebracht: das kleine Service, das mittlere Service und das große Service. Das Nachtisch-Gerät des großen Service war, Teller wie Schüsseln, ganz aus getriebenem, vergoldetem Silber. Damit es nicht aussah, als wollte er den Tisch mit Gold- und Silberwerten zermalmen, hatte er all diesen Garnituren noch eine aus reizend zerbrechlichem Porzellan nach sächsischer Art hinzugefügt; es kostete mehr als ein Silberservice. Was das Gedeck angeht, so wetteiferten sächsisches, englisches, flandrisches und französisches Leinen mit ihren
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