Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Ohnmacht gefallen, als er Ihren zweiten Brief las. Sie haben einen famosen Stil, ich mache Ihnen mein Kompliment. Wenn der Baron gestorben wäre, was sollte da aus uns werden? Wenn Lucien Saint-Thomas d'Aquin als Schwiegersohn des Herzogs von Grandlieu verläßt und Sie wollen dann in die Seine ... nun, mein Liebchen, dann reiche ich Ihnen die Hand, um den Kopfsprung gemeinsam zu machen. Das ist auch eine Art, allem ein Ende zu machen. Aber denken Sie doch ein wenig nach! Wäre es nicht besser, am Leben zu bleiben und sich von Stunde zu Stunde zu sagen: ›Welch glänzendes Los, welche glückliche Familie!‹ Denn er wird Kinder haben ... Kinder! ... Haben Sie je an das Vergnügen gedacht, mit den Händen durch das Haar seiner Kinder zu streichen?« Esther schloß die Augen und schauderte leicht. »Nun, wenn man das Gebäude eines solchen Glückes sieht, so sagt man sich: das ist mein Werk!«
Es entstand eine Pause, während derer diese beiden Wesen sich ansahen. »Das habe ich versucht aus einer Verzweiflung zu machen, die sich ins Wasser stürzen wollte,« fuhr Carlos fort. »Bin ich ein Egoist? So liebt man! So gibt man sich nur Königen hin, – aber ich habe Lucien zum König geweiht! Man könnte mich für den Rest meiner Tage an meine alte Kette schmieden, und mir scheint, ich würde ruhig bleiben, wenn ich mir sagte: er tanzt, er ist bei Hofe! Meine Seele und mein Denken würden triumphieren, während mein Madensack den Stockmeistern preisgegeben wäre. Sie sind ein elendes Weibchen, Sie lieben als Weibchen! Aber die Liebe sollte für eine Kurtisane wie für alle entarteten Wesen ein Mittel sein, der Natur, die Sie mit Unfruchtbarkeit schlägt, zum Trotz Mutter zu werden! Wenn man je unter der Haut des Abbes Carlos Herrera den Sträfling wiederfände, der ich früher war, wissen Sie, was ich da tun würde, um Lucien nicht zu kompromittieren?« Esther erwartete die Antwort nicht ohne Angst. »Also,« fuhr er nach einer leichten Pause fort, »ich würde wie die Neger sterben, indem ich meine Zunge hinunterwürgte. Und Sie geben ihnen mit Ihrem Geziere meine Spur an! Was hatte ich von Ihnen verlangt? ... Daß Sie auf sechs Monate, auf sechs Wochen den Rock der Torpille wieder anziehen, um eine Million zu ergattern ... Lucien wird Sie nie vergessen! Die Männer vergessen das Wesen nicht, an das sie ein Glück erinnert, dessen man sich jeden Morgen freut, weil man stets als Reicher erwacht. Lucien ist mehr wert als Sie... Er hat erst Coralie geliebt; sie stirbt, gut; aber er hatte kein Geld, um sie beerdigen zu lassen; er machte es nicht, wie Sie es eben gemacht haben: er ist, obwohl er ein Dichter war, nicht ohnmächtig geworden; er schrieb sechs lustige Liedchen, und er erhielt dreihundert Franken dafür, mit denen er Coralies Begräbnis bezahlen konnte. Ich besitze die Lieder, ich kenne sie auswendig. Nun, dichten Sie Ihre Lieder: seien Sie lustig, seien Sie toll! Seien Sie unwiderstehlich und ... unersättlich! Sie haben mich verstanden? Zwingen Sie mich nicht, noch einmal zu reden ... Küssen Sie Papa. Adieu.«
Als Europa eine halbe Stunde darauf bei ihrer Herrin eintrat, fand sie sie auf den Knien vor einem Kruzifix in der Stellung, die der religiöseste Maler Moses vor dem Busche Horeb gegeben hat, um die tiefe und vollkommene Andacht vor Jehova auszudrücken. Esther hatte ihre letzten Gebete gesprochen und verzichtete auf ihr schönes Leben, auf die Ehre, die sie sich geschaffen hatte, auf ihren Ruhm, auf ihre Tugenden und ihre Liebe. Sie erhob sich.
»O gnädige Frau, so werden Sie nie wieder aussehen!« rief Prudentia Servien, da die wunderbare Schönheit ihrer Herrin sie vor Staunen erstarren ließ. Schnell wandte sie den Spiegel so, daß das arme Mädchen sich sehen konnte. Die Augen hatten gerade noch einen Rest der Seele in sich, die zum Himmel entflog. Der Teint der Jüdin leuchtete. Ihre Wimpern, die feucht waren von Tränen, obwohl das Feuer des Gebets sie getrocknet hatte, glichen dem Laub nach einem Sommerregen; die Sonne der reinen Liebe ließ sie zum letztenmal auffunkeln. Die Lippen bewahrten gleichsam noch einen Ausdruck von den letzten Anrufungen der Engel her, denen sie ohne Zweifel die Palme des Martyriums entliehen hatte, indem sie ihnen ihr fleckenloses Leben anvertraute. Kurz, sie hatte die Majestät, in der Maria Stuart erglänzen mußte, als sie ihrer Krone, der Erde und der Liebe Lebewohl sagte. »Ich wollte, Lucien sähe mich so,« sagte sie, indem sie sich einen erstickten
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