Glanz
Konsequenzen. Ich beeinflusste Erics Alter Ego, den griechischen Krieger, der wahrscheinlich immer noch vergeblich vor dem riesigen Totenschädel auf mich wartete, statt auf eigene Faust nach dem Tor des Lichts zu suchen.
»Das ist kein Blödsinn, Anna«, sagte Emily sanft. »Das, was ich in den letzten Stunden gesehen habe, hat mich tief erschreckt. Ich … ich mache mir Sorgen, dass wir Erics Seele mit unserer Einmischung nur noch mehr verwirren, sie vielleicht noch weiter von dem Weg abbringen, den das Schicksal für sie vorgesehen hat.«
»Aber du hast doch selbst gesagt, dass seine Seele vielleicht für immer gefangen bleibt, wenn wir ihr nicht helfen!«, protestierte ich.
»Ja. Aber ich fürchte, ich habe mich geirrt.«
Ich schwieg einen Moment, versuchte das, was Emily gesagt hatte, zu verarbeiten. Doch meine Gedanken klärten sich nicht. Stattdessen stieg Zorn in mir auf. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ihre Einwände in Wahrheit nur Ausflüchte waren, dass sie mir aus ganz anderen Gründen nicht mehr helfen wollte. Allerdings hatte ich keine Ahnung, welche Gründe das sein könnten.
Ich bemühte mich, sie meine Verärgerung und mein Misstrauen nicht spüren zu lassen. Ich war auf ihre Hilfe angewiesen. »Vielleicht hast du recht, Emily«, sagte ich schließlich. »Vielleicht war es falsch, in Erics Traumwelt einzudringen. Das werden wir wohl nie wissen. Aber wir haben es nun mal getan. Wir haben ihn längst von dem Weg abgebracht, den er ohne uns gegangen wäre. Wir |165| können ihn jetzt nicht plötzlich im Stich lassen. Er
wartet
dort drin auf mich!«
»Er wird irgendwann merken, dass du nicht zurückkommst. Dann wird er sich wieder von selbst auf die Suche machen.«
Ich konnte die Schärfe kaum aus meiner Stimme heraushalten. »Wenn Eric dein Kind wäre, würdest du nicht so reden! Du würdest alles tun, um ihm zu helfen!«
»Vielleicht«, gab Emily zu. »Aber das bedeutet nicht, dass es auch das Richtige wäre.«
»Lieber gehe ich das Risiko ein, falsch zu handeln, als dass ich nur hier herumsitze und zusehe, wie er mir vor meinen Augen wegstirbt!«
»Es gibt immer noch die Chance, dass die Ärzte von außen zu ihm vordringen können.«
»Die Ärzte, dass ich nicht lache! Was haben die denn in den letzten Wochen erreicht? Gar nichts! Ich dagegen habe Erics Seele gefunden!« Ich bemerkte ihren Blick und ergänzte: »Mit deiner Hilfe natürlich. Wir haben ihn vielleicht noch nicht zum Licht geführt. Aber wir wissen jetzt wenigstens, wonach wir suchen müssen. Wir haben Hinweise bekommen. Wir …« Ich verstummte, als mir ein Gedanke kam.
»Ja, wir haben ihn gefunden«, sagte Emily. »Aber das bedeutet nicht, dass wir ihm helfen können. Wir wissen praktisch nichts über seine Welt. Ich verstehe ja, dass du als seine Mutter Eric helfen, ihn führen und leiten willst. Aber manchmal muss man das, was man liebt, loslassen. Ihm die Freiheit geben, seinen eigenen Weg zu finden!«
»Eric ist vierzehn Jahre alt. Er ist praktisch noch ein Kind!«
»Die Seele eines Menschen kennt kein Alter.«
»Kann sein. Aber du hast unrecht. Wir wissen eine ganze |166| Menge über seine Welt. Wir haben den Sumpf durchquert, die Erste Mutter getroffen und den Tempel der Wahrheit gefunden, richtig? Und wieso? Weil ich wusste, wo wir sie finden würden!«
Sie sah mich verblüfft an. »Du wusstest es? Woher?«
Ich lächelte triumphierend. »Das Orakel hat es mir gesagt. Das Orakel in dem Computerspiel, das Eric gespielt hat. Ich habe es ausprobiert. In diesem Spiel gibt es genau so einen Sumpf wie den, den wir durchquert haben. Du hast doch gesehen, wie ich die Schildkröte getötet habe. Das konnte ich nur, weil ich es vorher ein Dutzend Mal am Computer gemacht hatte!«
»Und du glaubst, Eric hat seine Traumwelt exakt nach diesem Computerspiel modelliert?«
»Vielleicht nicht exakt, aber wenigstens ungefähr.« Ich sprang auf. Mein Hunger war vergessen. »Ich fahre nach Hause und hole den Laptop. Dann zeige ich es dir. Vielleicht finden wir in dem Spiel einen Weg von der Stadt des Lächelns zum Tempel der Wahrheit!«
Emily seufzte. Dann lächelte sie traurig. »Also schön. Hol das Spiel her. Dann sehen wir weiter.«
»Danke, Emily! Ich bin in spätestens einer Stunde zurück!«
Ich nahm wieder die U-Bahn, zuerst die Linie G nach Norden bis zur Metropolitan Avenue, dann die L, die von hier aus den East River unterquerte. An der First Avenue stieg ich aus und ging die fünfhundert Meter bis zu meiner
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