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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Wohnung zu Fuß.
    Ich konnte bereits die Ecke des kleinen Parks sehen, an dem unser Haus lag, als sich mir plötzlich die Nackenhaare aufstellten. Ein unbestimmtes Gefühl der Bedrohung befiel mich. Ich blieb unwillkürlich stehen und ließ meinen Blick über die vertraute Straße streifen, das kleine |167| Café an der Ecke, in dem ich oft mit Eric Eis gegessen hatte, die parkenden Autos, den geteerten Basketballplatz, auf dem ein paar Jugendliche Körbe warfen.
    In diesem Moment erblickte ich sie. Sie saß auf einer der Bänke, halb von einem Baumstamm verdeckt, und hatte mir den Rücken zugewandt. Dennoch wusste ich sofort, dass sie es war – die Frau in Schwarz, die ich bereits zwei Mal gesehen hatte.
    Als spürte sie meinen Blick, drehte sie den Kopf zu mir um. Ihr Gesicht war wieder von einem Schleier verhüllt, doch darunter schienen mich leere, kalte Augen anzustarren.
    Eine unerklärliche Angst befiel mich bei diesem Anblick. Mein Magen rebellierte. Einen Moment war ich wie gelähmt. Dann wandte ich mich um und rannte die Straße entlang in Richtung Westen, fort von der Frau, fort von dem Park, fort von meiner Wohnung. Ich beruhigte mich erst, als ich wieder an der U-Bahn-Station stand. Ich stieg ein und fuhr zurück zu Emily.
    Maria war inzwischen zurückgekehrt und gerade dabei, Eric zu waschen. Sie erwiderte meinen Gruß nicht.
    Emily war in der Küche und bereitete die breiartige Nahrung zu, die Eric vier Mal täglich durch die Magensonde erhielt. »Wo ist der Laptop?«, fragte sie.
    Ich wich ihrem Blick aus. »Ich … ich habe es mir anders überlegt. Ich glaube, du hast recht. Erics Phantasiewelt wird sicher kein genaues Abbild des Computerspiels sein. Wir … müssen es weiter so versuchen.«
    Man sah an ihrem Gesicht, dass sie mir kein Wort glaubte. »Was ist passiert, Anna?«
    Ich holte tief Luft. »Da … da war eine Frau vor unserem Haus. Ich habe sie schon mal gesehen, vor dem Krankenhaus. Ich glaube, dass sie mich beobachtet.«
    |168| »Eine Frau? Was für eine Frau? Wie sah sie aus?«
    »Weiß nicht genau. Sie trug schwarze Kleidung. Ihr Gesicht habe ich nicht erkannt. Vielleicht … vielleicht lässt dieser komische Arzt, dieser Dr. Ignacius … mich beschatten.«
    »Glaubst du, wenn er dich beschatten ließe, wäre das so offensichtlich?«
    »Ich … ich weiß auch nicht.« Ich konnte nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen traten und meine Unterlippe zitterte. »Ich habe keine Ahnung, was diese Frau von mir will.«
    »Warum bist du nicht einfach zu ihr gegangen und hast sie gefragt?«
    »Ich … konnte nicht. Ich hatte irgendwie schreckliche Angst vor ihr. Ich bin mir nicht mal sicher, ob … ob sie wirklich da war!«
    Emily machte ein sorgenvolles Gesicht. »Du meinst, sie war vielleicht nur eine Halluzination?«
    Ich nickte. »Wäre sie real gewesen, hätte ich mich doch nicht so vor ihr erschrocken, oder?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber ich habe immer befürchtet, dass die Droge solche Nachwirkungen haben könnte.«
    »Hast du auch Dinge gesehen, die … nicht da sind?«
    »Ich sehe oft Dinge, die andere nicht sehen. Vielleicht bin ich einfach so daran gewöhnt, dass mir die Droge nichts anhaben kann.«
    Ich setzte mich an den Küchentisch, fühlte mich bleischwer, so als habe der kurze Ausflug meine gesamten Kraftreserven verbraucht. Ich stützte den Kopf auf die Hände. Tränen tropften auf das blaue Wachstuch, das den Tisch bedeckte. »Ich weiß nicht, was wir machen sollen, Emily.«
    |169| Sie legte ihre Hand auf meinen Arm. »Ich habe nachgedacht, Anna. Ich glaube, du hattest recht. Wir haben uns in Erics Suche eingemischt. Das war ein Fehler, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Aber wir haben ihn nun einmal begangen. Jetzt müssen wir die Sache auch irgendwie zu Ende bringen.«
    Hoffnung erwärmte mir das Herz wie ein Sonnenstrahl auf meiner Brust. Ich blickte auf und blinzelte die Tränen fort. »Heißt das, du … du gehst noch mal mit mir dorthin?«
    Sie nickte. »Ich weiß nicht, ob es richtig ist. Aber vielleicht ist es wirklich besser, dieses Risiko einzugehen, als tatenlos hier herumzusitzen.«
    Ich lächelte. »Danke, Emily!«
    Sie erwiderte mein Lächeln. »Aber erst isst du was. Du wirst deine Kraft brauchen.«
    Ich hatte immer noch keinen Appetit, doch ich zwängte gehorsam zwei Toasts mit Rührei in mich hinein. Dann nahmen wir jede eine Glanz-Kapsel. Inzwischen hatte Maria Eric fertig gewaschen, ihm einen neuen Pyjama angezogen und ihn

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