Glashaus
stimmt’s?« Sie wendet ihren Blick zur Seite, der Bedienung zu. »Einen Eiskaffee aus Fair Trade -Bohnen mit zwei Kugeln Schokoladeneis. Mit Schlagsahne, ohne Zucker«, sagt sie in barschem Ton.
»Ich möchte dasselbe«, bringe ich gerade noch heraus, ehe Jen sich ausführlich über Angebote und Preise auf der Tafel über dem Tresen auslässt. Bevor sie einen Satz zu Ende bringt, hat sie dreimal ihre Meinung geändert. Derweil mustere ich Angel, die eine Kombination aus Rock und Jacke, ein »Kostüm« trägt. Sie ist zwar dunkler und langweiliger gekleidet als Jen, hat aber irgendwelche glänzenden Metallobjekte an ihre Ohrläppchen gesteckt. Ich erkenne, dass es Schmuck sein soll, aber diese Dinger sehen so aus, als müssten sie ihr wehtun. »Was ist das da an deinen Ohren?«, frage ich.
»Das nennt man Ohrringe«, erklärt Angel mir. »Weiter oben an der Straße gibt es einen Salon, wo man sich die Ohren durchstechen lassen kann. Und dann kann man verschiedenen Schmuck an den Ohren tragen. Sobald die Löcher verheilt sind«, fügt sie mit leichtem Stöhnen hinzu. »Sie sind immer noch ein bisschen wund.«
»Stopp mal: Das klebt also gar nicht an deiner Haut? Und ist auch nicht fest installiert? Die haben das durch dein Ohr geschoben, anstatt dein Ohr rund um das Ding neu aufzubauen? Und es ist Metall ?«
»Ja.« Sie sieht mich seltsam an. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, aber die Frage erübrigt sich auch, denn Jen hat inzwischen ihren Café Americano bestellt und wendet sich uns wieder zu.
»Ich bin froh, dass wir dich heute zufällig getroffen haben, meine Liebe!« Mit verschwörerischer Miene beugt sie sich zu mir vor. »Ich habe nämlich ein paar Nachforschungen angestellt. Wir sind hier nicht die einzige Schar. Alle sechs Gruppen treffen sich morgen in der Kirche. Und wir möchten nicht, dass jemand dabei das Gesicht verliert.«
»Wie bitte?«, frage ich empört.
»Sie meint, dass wir den Anschein wahren müssen«, sagt Angel mit einem dieser vielsagenden Blicke, die ich nicht deuten kann.
»Das verstehe ich nicht.«
Jen runzelt leicht die Stirn, sodass sich zwischen ihren Augenbrauen Falten bilden. »Es geht nicht nur um diese Sache von gestern . Jeder hat das Recht auf kleine Irrtümer. Aber wie sich herausgestellt hat, werden unsere Punkte nicht nur innerhalb der Schar addiert und die durchschnittlichen Punktezahlen daraus errechnet, sondern jede Schar in der Kirchengemeinde erhält Gelegenheit, darüber zu reden, was sie in der vergangenen Woche erreicht hat. Danach bewerten die anderen Scharen das jeweilige Gruppenverhalten und stimmen anschließend darüber ab, ob Plus- oder Minuspunkte vergeben werden.«
»Es ist ein Szenario aus der Spieltheorie, die fortwährende kollektive Haftbarkeit des Prisoner’s Dilemma «, wirft Angel ein, während einer der Zombies vom Bedienungspersonal mit einem blanken Metallbehälter hinter dem Tresen herumhantiert und dabei ein Geräusch erzeugt, das nach plötzlichem Druckabfall klingt. »Ein sehr elegant ausgetüfteltes Experiment, wenn du mich fragst.«
»Es ist ein …« Oh, Scheiße. Ich nicke vorsichtig, unsicher, wie viel ich preisgeben soll. »Ich glaube, ich verstehe.«
»Ja.« Angel nickt. »Wir werden dein Verhalten gestern verteidigen müssen, und die anderen Gruppen können uns dafür Punkte geben oder abziehen - je nachdem, was wir ihrer Ansicht nach verdienen. Und je nachdem, ob sie davon ausgehen, dass wir’s ihnen mit gleicher Münze heimzahlen, sobald sie selbst bewertet werden.«
»Das ist ja wirklich hinterhältig.«
»Ja«, bestätigt Angel.
Jen lächelt. »Und deshalb, meine Liebe, wirst du uns nicht ins Abseits befördern, indem du gegen die Kleiderordnung verstößt. Außerdem wirst du angemessene Reue über den blöden Vorfall von gestern zeigen, ganz egal, worum es dabei ging - nein, ich will die widerlichen Einzelheiten gar nicht hören. Und wir werden unseren Teil beitragen, indem wir dich unterstützen und versuchen, die ganze Sache so gründlich wie möglich unter den Teppich zu kehren und all die Sünden der anderen Gruppen darüber zu schaufeln. Stimmt’s oder hab ich recht?« Sie sieht Angel an. »Wir sind die neue Gruppe, also können wir davon ausgehen, dass sie auf uns herumhacken werden. Und das wird so schon schlimm genug, wegen Cass.«
»Was ist mit Cass?«, frage ich.
»Sie fügt sich nicht ein«, erwidert Jen.
Angel sieht so aus, als wolle sie den Mund aufmachen, doch Jen bringt sie durch einen Wink
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