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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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runtergehen soll – hat sich dann aber anders entschieden.«
    »Sie ist noch oben geblieben«, stellte der Kriminalist klar.
    »Zumindest soweit ich das überblicken konnte«, meinte Erich Neusser. Speckinger stufte ihn als scharfen Beobachter ein, dem gewiss weder im Beruf noch privat etwas entging. Seine Antworten wägte er sorgfältig ab – und auch seine Frau neigte überhaupt nicht zu übertriebenen Darstellungen, wie es der Kriminalist oft genug in solchen Situationen erlebte. Sie bestätigte ebenfalls, dass Werner Heidenreich den Kontakt zu seinen ehemaligen Schulkameraden erst voriges Jahr gesucht hatte.
    »Aber er ist doch eine Art Kollege von Ihnen«, hakte Speckinger nach und hätte jetzt doch gerne einen Schluck Mineralwasser genommen.
    »Kollege, ja«, erwiderte Neusser und blies ein Staubkorn aus seiner Brille, die er dazu kurz von der Nase nahm, »aber beruflich haben wir nichts miteinander zu tun. Ich prüfe Betriebe – und er ist hinter den ganz großen Steuersündern her.«
    »Aber schließt denn das eine das andere aus?« Speckinger bemerkte ein angedeutetes Lächeln in Neussers Gesicht.
    »Natürlich nicht. Aber in den Firmen stoßen Sie nur selten auf so ein ganz großes Ding, für das sich die Steuerfahndung interessiert. Unsere Steuergesetzgebung lässt inzwischen so viele komplizierte Konstrukte zu, dass man auch auf legale Art und Weise seine Steuerschuld minimieren kann.« Er grinste.
    Speckinger bejahte, auch wenn er sich eingestand, nichts davon zu verstehen. »Gibt es denn überhaupt noch jemanden, der das kapiert?«, fragte er deshalb vorsichtig.
    »Das ist gar nicht möglich. Sie können sich nicht vorstellen, welche Modelle ersonnen werden, um immer neue Schlupflöcher zu schaffen. Und es gibt Sachen, das sag ich Ihnen, da gehen auch bei der Oberfinanzdirektion die Ansichten auseinander.«
    Speckinger unterdrückte seine Verärgerung darüber, dass der Staat nur die Kleinen abzockte, deren Einnahmen und Vermögen überschaubar waren und bei denen ohnehin bereits der Arbeitgeber einbehielt, was der Staat forderte. Oft schon hatte er mit Häberle halbe Nächte lang darüber diskutiert, dass vermutlich kein einziger Politiker in Berlin eine Ahnung davon hatte, was einem Durchschnittsverdiener tatsächlich netto zur Verfügung stand. Und wenn dann mal irgendetwas mit viel Lobhudelei um ein paar Null-Komma-noch-was-Punkte gesenkt wurde, dann stieg bestimmt wieder eine Bemessungsgrenze an – und unterm Strich blieb, von den Medien völlig unbemerkt, nichts übrig. Speckinger verspürte das Bedürfnis, einmal ausführlich mit Neusser darüber zu diskutieren. Doch nicht hier und nicht heute.
    »In diesem Job«, wechselte er stattdessen das Thema, »da macht man sich nicht nur Freunde.«
    Neusser lehnte sich zurück. »Natürlich nicht. Das ist genauso wie in Ihrem Job. Wenn Sie jemandem etwas nachweisen können, geht der Heckmeck los. Das reicht von dümmlichen Ausreden bis zur versteckten Drohung, politische Beziehungen spielen zu lassen. Einer hat sogar mal eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich losgelassen.«
    »Und direkte Attacken?«
    »Sie meinen, ob schon mal jemand handgreiflich geworden ist?« Neusser streifte die kurzen Ärmel seines T-Shirts noch weiter nach oben. »Nein, nein. Aber wenn Sie vermuten, Werner sei umgebracht worden, weil er eine große Sache aufgedeckt hat, kann man dies natürlich nicht ausschließen. Die Hemmschwelle zur Gewalt ist heutzutage sehr niedrig.« Und er betonte: »Sehr niedrig, Herr Speckinger.«
    Brigitte Neusser verfolgte das Gespräch wortlos. Sie wollte der Feststellung ihres Mannes nicht widersprechen, denn die Gewaltbereitschaft war in den vergangenen Jahren geradezu dramatisch angestiegen. Dennoch hatten sie beide zu der Frage, welche Maßnahmen sinnvoll sein würden, höchst gegensätzliche Meinungen. Während sie für mehr soziale Einrichtungen, verstärkte Integration von Ausländern und Straßensozialarbeiter plädierte, vertrat er die Auffassung, dass die bestehenden Gesetze konsequenter angewandt werden müssten.
    »Das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, pflichtete ihm der Kriminalist bei und musste sich eingestehen, dass seine Frage überflüssig war, weshalb er eine andere Zielrichtung einschlug. »Herr Heidenreich hatte sich aber wohl in jüngster Zeit auch noch andere Feinde geschaffen?«
    Die beiden Eheleute sahen sich an. »Was heißt ›Feinde‹?«, griff Erich das Thema auf. »Er hat sich mit seiner Bahnsache ein bisschen

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