Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
den Kopf zuckte. Ihrer Mutter ging es schlecht. Das hübsche, katzenhafte Gesicht wirkte bleich und eingefallen. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Camilla bemerkte die geröteten Lider.
Hinter ihr trat auch Camillas Vater auf die Terrasse. In seinem Gesicht zuckten Muskeln. Er hatte abgenommen. Im Licht der Gartenlampe sah er krank aus.
Alles wegen mir? , dachte sie erschrocken. Sicher. Eine andere Antwort gab es darauf nicht. Ihre Knie wurden weich. Sie fühlte sich abscheulich. Allein der Gedanke, dass sich ihre Eltern aus ihrem Leben heraushalten sollten, kam ihr nun falsch vor. Sie hatte sich schon sehr oft geschämt, aber selten fiel es ihr dabei so schwer, den Menschen in die Augen zu sehen, die sich um sie bemühten. Betroffen senkte sie den Blick. Obwohl sie sich freute, konnte sie ihren Eltern nicht einfach um den Hals fallen. Eigentlich sollte sie glücklich sein. Doch all das, was sie erlebt hatte, besonders die Welt, über die sie nicht sprechen wollte, lag wie eine unüberwindliche Kluft zwischen ihnen. Realität und Traum trafen aufeinander.
Ihre Eltern zögerten ebenfalls. Sie schienen das Neue, Fremde instinktiv wahrzunehmen. Etwas stand zwischen ihnen. Ancienne Cologne? Theresas Tod? Wussten die beiden überhaupt schon davon? Natürlich – die Polizisten würden sie unterrichtet haben. Scheu warf sie einen Seitenblick zu Weißhaupt, der sich mit seinem Kollegen abseits hielt, um die Begegnung nicht zu stören.
In den Augen ihrer Eltern lagen so viele Gefühle – Erleichterung, Freude, Angst und Liebe, doch ihre Gesichter blieben reglos.
Eine unangenehme, bleischwere Stille lastete zwischen ihnen. Camilla spürte, wie ihre Knie zu zittern begannen. Sie fühlte sich schwach und hilflos.
Chris ergriff die Initiative. »Hallo Frau Hofmann.« Er reichte ihr seine Hand, die Camillas Mutter auch sofort ergriff. Überraschung trat in ihren Blick. »Hallo«, sagte sie leise. Ihre Stimme klang rau und brüchig.
Camilla bemerkte schwaches Misstrauen. Wie fühlte sich ihre Mutter jetzt? Camilla versuchte, sich in ihre Gedanken zu versetzen. Wahrscheinlich hatte sie nicht mehr damit gerechnet, ihre Tochter lebend zurückzubekommen. Ihre roten Augen unterstützten die Annahme. Angst und Erleichterung mussten alles übersteigen, was sich Camilla vorstellen konnte … Nein, das stimmte nicht. Es stand außer Frage, dass ihre Sorge um Chris kein bisschen weniger wog als die Gefühle ihrer Eltern. Als er unter ihren Fingern gestorben war …
Endlich löste sich die Starre und sie fiel ihrer Mutter um den Hals. Wärme durchflutete Camillas Innerstes.
Nach einer Weile setzten sich Bernd Weißhaupt und sein Kollege in Bewegung und kamen durch den Garten auf sie zu. In dem schwächer werdenden Licht wirkte der fremde Mann außergewöhnlich blass. Möglicherweise lag es an seinem strohblonden Haar und den dunklen Augenringen. Ein paar gelockte Strähnen hingen in seine Stirn. Er war schätzungsweise Ende zwanzig, muskulös und groß, trotzdem ging er leicht vornübergebeugt, als würde er jeden Moment im Laufen einschlafen.
»Wer ist das?«
Chris hob die Schultern. »Keine Ahnung.«
Der Mann schien sie gehört zu haben. Er blieb auf den Stufen zur Terrasse stehen und beobachtete sie. Sein Blick verdüsterte sich, als er Camilla ansah.
Kommissar Weißhaupt strich sich über das stoppelige Haar. »Matthias, das ist Camilla Hofmann.«
Der junge Mann nickte dumpf. »Du hast uns verdammt viele Stunden Arbeit und schlaflose Nächte gekostet.« Seine Stimme klang eher wie ein wütendes Knurren.
Der Kommissar schob sich an seinem Kollegen vorbei, um Camilla beide Hände hinzustrecken. Auch er wirkte erschöpft. Offensichtlich hatte die Berliner Polizei wegen ihr tatsächlich einen umfassenden Dauereinsatz. Ihr lief ein Schauder über den Rücken.
»Wir sind alle erleichtert, dass du gesund bist.« Weißhaupts dunkle Augen strahlten. Er freute sich tatsächlich, im Gegensatz zu seinem Kollegen.
Sie ergriff seine Hände und bereute es im gleichen Moment. Die ungestüme Kraft des Beamten drückte ihr fast das Blut aus den Fingern. Einen Moment lang glaubte sie, einer Maschine gegenüberzustehen, bis ihr die feuchte Wärme seiner Haut auffiel. Weißhaupt war ein Mensch, jemand, der einfach nur zu viel Kraft besaß.
»Vielen Dank.« Angesichts seiner Freude musste sie lächeln. »Ohne Christoph hätte ich das alles nicht überstanden.«
Weißhaupt musterte Chris kurz. »Herrn Kowalski kennen wir ja.« Er
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