Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
offiziellen Dienststelle zu sitzen. Der Zeitaufschub wäre zwingend notwendig, um sich mit Chris eine plausible Erklärung zurechtzulegen. Andererseits musste sie Weißhaupt dazu bringen, ihr das Fernrohr zu zeigen, das die Polizei sicher unter Verwahrung hielt. Vielleicht wäre es in dem Zusammenhang sogar klüger, die Wahrheit zumindest in einigen Punkten anzuschneiden. Bei dem Anblick des abweisenden Habicht schob sie den Gedanken lieber wieder von sich. Drumherum kam sie trotzdem nicht. Augen zu und durch.
»Auf welchem Ermittlungsstand sind Sie denn nun?« Langsam nahm sie die Brille ab, die ihre Eltern mitgebracht hatten, und reinigte die Gläser am Saum ihres Shirts. Dank ihrer schlechten Augen nahm sie nur schemenhaft wahr, was um sie herum passierte.
»Darüber darf ich keine Auskunft geben«, entgegnete Weißhaupt.
Sie setzte ihre Brille wieder auf. Der Kommissar tauschte einen Blick mit Habicht, der die muskulösen Arme vor der Brust verschränkte. Er wirkte nicht mehr missgestimmt, sondern nur noch ernst.
»Es geht mir um Theresa. Habt ihr sie gefunden?«
Habicht presste die Lippen aufeinander. Er deutete ein Nicken an.
»Ich weiß, wer sie getötet hat.«
Überrascht fuhr Habicht auf. »Du weißt von dem Mord?«
Von einem anderen ausgesprochen besaß die Tatsache noch immer eine erschlagende Wucht. Für einen Moment war Camilla nicht in der Lage, zu antworten. Sie nickte schwach.
Die beiden Beamten waren fair genug, ihr einige Sekunden Zeit zu gewähren. Nach einer Weile hörten ihre Gedanken auf zu rasen.
»Ich habe ihre Leiche gefunden.«
Interessiert neigte sich Weißhaupt vor. Er zog ein kleines Aufnahmegerät aus der Hosentasche.
»Bitte, Herr Weißhaupt.« Camillas Vater schüttelte den Kopf, als der Kommissar die Aufnahmetaste drückte. »Ich will das nicht. Nehmen Sie den Bericht morgen früh regulär auf. Meine Tochter ist zu stark von den Vorfällen betroffen.«
Das war eine bodenlose Frechheit. Wie konnte er so etwas sagen? Schließlich hatte sie das Thema angeschnitten.
»Mein lieber Herr Hofmann, verzeihen Sie, aber ich will mir die Arbeit nicht doppelt machen.« Das Lächeln auf Weißhaupts Lippen drückte Anspannung aus.
»Aber sie ist nicht in der Verfassung. Das sehen Sie doch.«
Mit einer nachlässigen Handbewegung wischte Weißhaupt die Bedenken ihres Vaters weg. »Wenn ich das richtig sehe, willst du jetzt reden?«
Sie nickte. Eigentlich wusste sie immer noch nicht, was sie sagen sollte. Allein, um die Bevormundung ihres Vaters auszuschließen, wollte sie darüber reden.
»Wissen Theresas Eltern schon Bescheid?«, fragte sie.
Weißhaupt nickte. »Sie befinden sich in psychologischer Betreuung.«
Die Leere in Camilla nahm zu. Tränen brannte in ihren Augen. Sie fühlte mit der Familie ihrer Freundin, das Verlustgefühl riss ihr beinahe den Boden unter den Füßen weg. Andererseits empfand sie längst nicht die Trauer, die angebracht gewesen wäre. Wahrscheinlich lag das an Olympia, denn in der Uhrwerkfrau lebte Theresa letztlich weiter. Aber das war nicht das Gleiche. Es war ungerecht. Und kein Trost. Sie beobachtete ihre Eltern. Wie reagierten sie auf die grausame Tatsache? Beide wussten davon. Die Augen ihrer Mutter verloren allen Glanz, während die Gesichtszüge ihres Vaters erschlafften.
Auch Melanie zuckte zusammen, obwohl die Information bekannt war. Die Einzigen, die keine außergewöhnliche Reaktion zeigten, waren Ralph und Chris.
»Zurzeit ermitteln wir in dem Mordfall.«
»Grimm ist ihr Entführer und Mörder.«
Habichts Mimik verhärtete sich. »Hast du Beweise dafür?«
»Nein«, gestand Camilla. »Er hat mich quer durch die verdammte Klinik und in die Unterwelten von Berlin gejagt, aber das ist wohl kein Beweis.«
Er nickte gelassen und straffte sich. »Wie bist du eigentlich in die Unterwelten gekommen?«
Zu weit vorgewagt, schoss es ihr durch den Kopf. Von ihren Erlebnissen unter der Stadt, der Entdeckung Nathanaels und der Verbindung zu Grimm konnte sie nichts erzählen. Nach dem ersten Wort würden die beiden Kommissare sie einweisen lassen.
»Durch eine Tür in der Klinik.« Ihre Stimme versagte glücklicherweise nicht, obwohl sie den Schrecken bis in die Fingerspitzen spürte.
»Ich weiß nichts von einem Bunker unter der Charité.«
Habichts lauernder Blick verunsicherte sie. Er kannte sich sicher in Berlin bestens aus. Aber die Tür war da.
»Es gibt Zugänge zu alten, im Krieg verschütteten Versorgungskellern, die die Kliniken
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