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Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Titel: Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)
Autoren: Tanja Meurer
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Würde sie für oder gegen ihn arbeiten? Ein klein wenig ihres Misstrauens erwachte wieder.
    Zugleich spürte sie, wie sehr Chris an ihrer Seite fehlte. Wie es ihm wohl ging? Warum fehlte ihr nur das Talent, seine Gedanken zu lesen? Lag es daran, dass er die geistigen Fähigkeiten anderer reflektierte? War er noch in Ancienne Cologne? Hatten die Polizisten und er ihre Eltern vielleicht schon gefunden? Die Unsicherheit, nichts über den Verbleib ihrer Freunde zu wissen, machte sie rasend. Sie wandte sich zu Olympia um, die reglos im Schatten des Zugangs an der Balustrade stand und beobachtete. Camilla wollte gar nicht wissen, welchen inneren Kampf sie austrug. Offenbar bewies Theresa ungekannte Stärke und wehrte sich gegen Olympias antiquiertes Denkmodell.
    »Camilla.«
    Amelies leises Zischen ließ sie zusammenzucken. Sie fuhr herum. Ihr blieb keine Möglichkeit, wahrzunehmen, was passierte. Amelie packte sie grob an der Hand und zerrte sie mit sich in den Schatten einer Bücherwand. Bevor Camilla etwas sagen konnte, legte die Puppe ihr eine Hand über die Lippen.
    Wenige Schritte entfernt huschte ein Schatten über die Galerie. Camilla versuchte, etwas zu erkennen, doch die Bewegung war zu schnell. Nach einer Weile ließ Amelie die Hand sinken und entspannte sich.
    »Vor was verstecken wir uns eigentlich?«
    »Das war mein Bruder.«
    Camillas Herzschlag machte einen Sprung. »Sicher? So leise? Ich habe ihn nicht erkennen können.«
    »Vertrau mir, das war Andreas.«
    Es gab keinen Grund, Amelies Aussage anzuzweifeln. Aber warum schlich Grimm hier oben herum? Hatte er sie durch einen der Spiegel gesehen? Möglicherweise suchte er auch Olympia.
    Wo war die Maschinenfrau überhaupt? Grimm hätte sie sofort sehen müssen.
    Camilla fixierte den Treppenturm, durch den sie hierher gelangt waren. Olympia stand nicht mehr an ihrem Platz. Das beruhigte sie ein wenig.
    Ein seltsamer, süßlich-fauliger Geruch mischte sich in die staubige Luft. Sie kannte den Gestank aus dem Waisentunnel …
    Die Leichenfrau. Bevor Camilla Amelies Keuchen hörte, wusste sie bereits, dass das Wesen nah bei ihr war. Mit wild schlagendem Herz fuhr sie herum, gefasst auf ein albtraumhaftes Wesen.
    Die Realität überstieg ihre Vorstellung. Grob zusammengenäht wie nach einer Autopsie, das Gewebe feucht und steif, stand sie am anderen Ende des Regals, als wäre sie gerade erst aufgetaut worden. Blaue Frostbeulen, möglicherweise nekrotische Stellen, verunzierten ihren Körper. Die Adern lagen nahezu überall deutlich wie Kabelwulste unter der transparenten Haut. Gerinnsel hatten sich gebildet. Wie alle Puppen reichte auch sie Camilla gerade bis zum Kinn. An ihrem Körper, der aus so vielen Leichen bestand, gab es kein Gramm Fett. Die Knochen stachen hervor, als wäre sie dem Hungertod nah. Sie war fahl, nackt, haarlos und wirkte auf eine grausame Weise verloren. Aus ihrem zusammengeflickten Gesicht, besonders aus den riesigen, dunklen Augen sprach dumpfe, intelligenzlose Angst und vollständige Hilflosigkeit. Solch ein Wesen sollte Menschen verschleppen und zerfetzen können? Diese Frau bestand nur aus Furcht.
    Plötzlich zuckte die Leichenfrau zusammen. Langsam wich sie in die Schatten, die Augen wie im Krampf verdreht. Sie drängte sich Hilfe suchend an das alte Holz, wobei sie sich den Hals verrenkte. Ihre Lippen klafften auf. Feuchtigkeit bildete kleine Schaumblasen vor ihren rissigen Lippen. Ein unartikuliertes Stöhnen drang aus ihrer Brust. Sie klammerte sich an einem Brett fest.
    Lautlos huschten Schatten umher.
    Die Leichenpuppe stöhnte erneut, bevor sie sich vom Regal abstieß und auf Camilla zustürzte.
    Entsetzen durchdrang sie. Instinktiv wich sie aus, doch die Bewegung war nicht schnell genug. Schartige Klauen schlugen sich in ihren Oberarm. Der beißende Schmerz trieb ihr Tränen in die Augen. Losreißen konnte sie sich nicht. Die Leiche besaß die Kräfte einer Schraubzwinge. An Camillas Rücken drang Leichenkälte durch ihr T-Shirt. Die Taunässe der Haut durchweichte den Stoff.
    Ekelhaft. Sie wollte von der Leiche fort, aber sie hielt sich eisern fest. Es war unmöglich, ihrem Griff zu entkommen.
    Nahe der nächsten Regalreihe hörte sie Schritte. Schwere Stiefel kratzten über den Boden. Grimm? Vielleicht war es auch Denise?
    Die Leiche wimmerte. Ihr nasser, eisiger Leib presste sich gegen Camilla.
    Nur kein Geräusch verursachen …
    Sie hörte ein hohes, gepeinigtes Jaulen.
    Grauenhaft … Weg von mir.
    Ihre Knie wurden weich.
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