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Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition)

Titel: Glasseelen - Schattengrenzen #1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Meurer
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Amadeo saß in einem alten Ledersessel. In seiner Reglosigkeit erinnerte der Greis an einen Leichnam. Seine knochige Hand ruhte auf einem alten Lederfolianten, der auf einem Tisch lag. Einige wenige Kerzen brannten, trotzdem blieb das Zimmer dunkel, kalt und bedrohlich.
    Amadeo schien mindestens zweihundert Jahre alt zu sein. Der Tod musste ihn vergessen haben.
    Sie vermied es, ihn länger anzusehen. Ihr Blick irrte durch den Raum. Im flackernden Kerzenschein entdeckte sie fast verblichene Federskizzen an den Wänden. Langsam löste sie sich hinter Chris und trat näher. Sie spürte den Blick des alten Mannes, der ihr folgte, ohne dass er den Kopf bewegte.
    »Sieh sie dir nur genau an, mein Kind.«
    Ihr Nackenhaar sträubte sich, aber sie folgte seiner Aufforderung.
    Im ersten Moment erkannte sie fast nichts, so flüchtig war die Strichführung. Einen Herzschlag später wich alles Blut aus ihrem Gesicht. Kälte kroch in ihre Knochen.
    Die Linien ergaben das Bild eines unnatürlich schmalen Männergesichts, dessen lippenloser Mund unglaublich große Zähne entblößte. Die Nase neigte sich Richtung Kinn hinab und winzige, schwarze Augen starrten sie aus allen möglichen Perspektiven an. Sie erkannte ihn sofort. Zweimal schon hatte sie ihm gegenübergestanden – dem Sandmann.
    »Du hast ihn wiedererkannt?«
    Camilla fuhr herum und musterte Amadeo. Aus seiner Mimik ließ sich nichts herauslesen. Er saß noch immer reglos in seinem Stuhl, selbst seine Züge hatten sich nicht um ein Jota verändert. Irgendwie hatte er etwas von dem Sandmann an sich, überlegte sie. Vielleicht lag es an diesem unheimlichen, beengenden Haus. Hier erschien ihr alles böse. Als sie nicht antwortete, wiederholte Amadeo seine Worte. Er erhob weder die Stimme noch bewegte er die Lippen, trotzdem lag dieses Mal ein befehlender Unterton in seiner Frage.
    »Ja.«
    Grimm – gleichgültig, wie schrecklich der Sandmann auch aussehen mochte, Grimm bedeutete für sie noch immer eine größere Bedrohung.
    Ihr Nackenhaar richtete sich auf. Bot Ancienne Cologne tatsächlich Sicherheit vor diesem Mann? Er hatte sie bis unter die Erde verfolgt. Sicher kannte er sich hier aus. Sie biss sich auf die Unterlippe. Wie passte der Polizist in diese Welt? Bevor sie die Frage in Worte fassen konnte, trat Chris, der dem alten Mann gegenüber stehen geblieben war, zu ihr. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und betrachtete die Zeichnungen. Seine Haltung war gespannt. Wut flammte in seinen Augen, während er die Lippen aufeinanderpresste. Sie verlor den Gedanken.
    »Was soll das, Amadeo?« Chris’ Tonfall klang ungewohnt scharf. »Woher hast du diese Bilder?«
    Anstatt zu antworten, drückte sich der alte Mann schwerfällig an den Armlehnen aus seinem Sessel hoch. Er erweckte den Anschein, als spielte er ein gut einstudiertes Stück. Einige Sekunden beobachtete Camilla, wie er sich quälte, aufzustehen. Seine Mimik verriet seine Anstrengung, er zitterte leicht. Vielleicht war es doch kein Schauspiel …
    Sie trat zu ihm. Obwohl ihr Schauder über den Rücken jagten, griff sie unter seinem Arm hindurch und stützte ihn, bis er aus eigener Kraft stehen konnte.
    »Danke, Camilla.«
    Sie nickte nur knapp und zog sich rasch zu Chris zurück, der Amadeo mit Blicken durchbohrte. Die Verbindung zwischen den beiden war weit weniger herzlich, als sie bisher angenommen hatte.
    »Woher hast du diese Bilder?«, wiederholte Chris mit harter Stimme und wies auf die Illustrationen. »Was soll diese Show? Willst du Camilla zusätzlich Angst machen?«
    Amadeo trat an Camillas Seite, ohne sie anzusehen. Hochmut lag in seiner Haltung. Eine Dunstwolke Übelkeit erregenden Geruchs wehte in ihre Nase. Sie musste den Kopf wenden und die Luft anhalten. Schließlich atmete sie wesentlich flacher weiter.
    Er blieb vor den Zeichnungen stehen und betrachtete sie. »Sie sind aus dem Buch.« Ohne sich umzudrehen, deutete er auf den Folianten, der hinter ihm auf dem Tisch lag.
    »Was ist das für ein Buch?«
    Amadeo antwortete nicht. Obwohl er nur reglos dastand, hatte sich etwas in seinem Ausdruck verändert. Seine Züge erschlafften mit jedem Herzschlag, als saugte die Darstellung des Sandmanns Leben aus ihm heraus. Zurück blieb das leidenschaftliche Feuer in seinen Augen. Trotz seiner Schwäche wurde sie das Gefühl nicht los, einem Wesen gegenüberzustehen, das dem Sandmann ebenbürtig war.
    »Sie sagten, dass die Bilder aus dem Buch sind. Wer hat sie gezeichnet?«
    »Ich«, antwortete

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