Glaub nicht es sei vorbei
Molly.
»Ich kann dir aber nichts versprechen. Du weißt ja, wie es ist, es funktioniert nicht immer ...«
Bill legte seine Hand auf Mollys Schulter und schob sie aus dem Zimmer. »Lass dir Zeit, Becky. Und entspann dich.«
Rebekka hatte sich selten weniger entspannt gefühlt. Ihre Nerven vibrierten und ihre Schultern schmerzten von der Last der Erwartungen. Sie schritt in dem kleinen Raum auf und ab, versuchte sich ganz auf ihre Umgebung zu konzentrieren, doch stattdessen kamen ihr all die negativen Bemerkungen in den Sinn, die man ihr über die Jahre an den Kopf geworfen hatte. »Hokuspokus« war noch der mildeste Ausdruck gewesen. Für gewöhnlich hatte sie die Sticheleien mühelos weggesteckt, weil sie an sich geglaubt hatte. Ava, ihre Großmutter mütterlicherseits, hatte dieselben Kräfte besessen und nicht einen Tag an sich gezweifelt. Diesen unerschütterlichen Glauben an die eigenen Fähigkeiten hatte sie versucht, an Rebekka weiterzugeben. Aber es war ihr nicht ganz gelungen. Rebekka musste sehr tief graben, um Molly zuliebe das alte Selbstvertrauen wiederzufinden. Nachdenklich ließ sie ihre Finger über die rotweißblaue Patchworkdecke gleiten, die über Todds Bett gebreitet war. Die Polizei hatte dieses Bett bereits nach Fingerabdrücken, Gegenständen, Stofffetzen und Blut abgesucht. Über dem Bett hing ein Krieg-der-Sterne- Poster, an der angrenzenden. Wand ein wunderschönes gerahmtes Foto von einem Wolf im Schnee. Diese Aufnahme stammte von Todds Großvater, Mollys Vater, der die Leitung von Grace Healthcare seinem Bruder Patrick überlassen hatte und Fotograf geworden war.
Rebekka ging zur Spiegelkommode aus Ahornholz. Ein Globus stand darauf, daneben ein Glas, in dem friedlich zwei Goldfische schwammen, mit blauen Kieselsteinen und einem Schloss am Boden. An einer Ecke des Spiegels baumelte an einem roten Band eine Medaille mit der Gravur: »Erster Platz, Juniorenschwimmer.« Todds Trophäe, die er voriges Jahr gewonnen hatte. Rebekka lächelte. Sie selbst konnte, trotz unzähliger Schwimmkurse, noch immer nicht schwimmen, obwohl sie keine Angst vor dem Wasser hatte.
Rebekka hörte gedämpftes Donnergrollen. Kam das Gewitter zurück? Ihr schauderte, nicht wegen sich, sondern wegen Todd. Sie wusste, welche Angst er vor Gewittern hatte. Sie durchforschte erneut den Raum. Sie konnte beinahe spüren, wie Molly und Bill im Wohnzimmer vor Anspannung vibrierten. Sie hätte ihnen so gern gesagt, dass sie etwas Außergewöhnliches in diesem. Raum gesehen hatte, aber da war nichts.
Als sie ins Wohnzimmer ging, sah Molly ihr in die Augen und fing an zu weinen. »Es tut mir Leid«, sagte Rebekka unbeholfen. »Ich habe nichts gesehen ...«
Jedenfalls nicht jetzt, hätte sie am liebsten hinzugefügt, aber sie wusste, dass es besser war, Molly noch zu schonen; sie würde aber so bald wie möglich Bill von ihrer Vision erzählen. Nicht, dass sie besonders hilfreich wäre. Sie konnte ihm keine Beschreibung von Todds Kidnapper liefern, wusste auch nicht, wohin dieser den Jungen gebracht hatte.
»Schon gut«, sagte Molly tonlos, während sie sich mit einem durchweichten Taschentuch über die Augen wischte. »Ich habe gar nichts erwartet.«
Aber das hatte sie natürlich doch, und das Schluchzen, das sie eine Minute später schüttelte, verriet es ganz deutlich. Rebekka eilte zu ihr und drückte ihren bebenden Körper fest an sich. Clay stand auf. »Ich glaube, Molly braucht etwas, um sich zu entspannen«, sagte er sanft.
Molly schüttelte den Kopf. »Nein! Ich muss wach bleiben, um Todd helfen zu können.«
»In diesem Zustand kannst du ihm aber nicht helfen.«, sagte Bill. »Clay soll dir eine Spritze geben. Dann kannst du klarer denken.«
Molly protestierte nicht mehr. Sie weinte nur noch verzweifelt an Rebekkas Schulter, bis auch dieser die Tränen kamen. Molly hatte sie getröstet, als sie im Alter von neun Jahren ihren Vater verloren hatte, und sich um sie gekümmert, als sie mit 17 um ihren Bruder Jonnie getrauert hatte. Jetzt hatten sie die Rollen getauscht, auch wenn Todd noch nicht tot war. Dessen war Rebekka sicher, konnte aber nichts weiter sagen, denn mit einer so vagen Vision durfte sie keine falschen Hoffnungen wecken.
Molly zuckte mit keiner Wimper, als Clay ihr eine Spritze gab. »Ativan.«, sagte er. »Du wirst dich bald benommen fühlen.«
»Benommen? Ich will nicht benommen sein«, protestierte Molly. »Ich will wach sein.«
»Du hast einen schlimmen Schock, Molly. Ein bisschen Schlaf
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