Glaub nicht es sei vorbei
Sean ein Schüsselchen Wasser hinstellte und dann in zwei Gläser Limonade goss.
»Bist du sicher, dass es dir gut geht?«, fragte Rebekka, als er ihr ein großes Glas reichte.
»Der bösartige zweijährige Sohn meines Freundes hat mich vorige Woche ärger in den Knöchel gebissen, und der menschliche Speichel hat bekanntlich weit mehr Bakterien in sich als der eines Hundes.«
»Die meisten Leute wissen das aber nicht.«
»Ich mag Hunde. Hätte selber gern einen, aber Lynn hat etwas gegen Tiere im Haus.«
»Mag Lynn überhaupt jemanden?«, entfuhr es Rebekka.
Doug sah sie lange an. »Ja, mich. Lynn liebt mich vorbehaltslos. Das war schon immer so, selbst damals, als mich kein Mensch mehr leiden konnte.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Und sie liebt ihren Bruder. Wir sind beide Versager, aber sie hat sich aufopfernd um uns gekümmert. Dazu muss jemand schon etwas Besonderes sein, ob du das mit deiner Hellsichtigkeit erkennen kannst oder nicht, Rebekka.«
3
»Weiß sie etwas über den Jungen?«
Lynn Cochran Hardison sah ihren Bruder an. Sein hellbraunes Haar war schon weitgehend ergraut, obwohl er erst 31 Jahre alt war. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert, wodurch die tiefe Narbe entlang seines Kiefers noch auffälliger hervortrat. Sie war das Ergebnis einer Gefängnisrauferei vor sechs Jahren, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Seitdem war er magerer und muskulöser geworden, um für ähnliche Situationen gewappnet zu sein. Lynn kam es fast so vor, als hätten seine Augen im Gefängnis etwas Wölfisches angenommen, als hätte er sich vor seiner Entlassung in ein Raubtier verwandelt.
Noch jetzt, nach einem Jahr in Freiheit, lag etwas Gehetztes in seinem Blick. Das war ja auch kein Wunder, dachte Lynn. Es hatte den Anschein, als ließe die Polizei sich keine Gelegenheit entgehen, ihn zu behelligen, obwohl er noch keinen einzigen Tag blau gemacht hatte, seit er in Maloneys Autowerkstatt als Mechaniker angefangen hatte. Er hatte sich auch peinlich genau an die Gesetze gehalten, nicht einmal falsch geparkt. Aber Larry war ein unverträglicher Bursche, und weder sein Chef noch seine Arbeitskollegen konnten ihn leiden. Außerdem trank er zu viel. Gerade schenkte er sich ein weiteres Glas Jim Beam ein und humpelte zurück zu dem fleckigen Armsessel, den er sich vom Sperrmüll geholt hatte. Larrys rechtes Bein war für immer ruiniert, seit Bill Garrett ihn während eines Einbruchs angeschossen hatte.
»Doug besucht sie heute. Er wird schon herausfinden, wie viel sie weiß«, sagte Lynn.
»Warum sollte sie ihm etwas anvertrauen? Sie weiß doch nichts von dem wunderbaren Sinneswandel deines Göttergatten. Sie denkt bestimmt, dass er noch immer so ein Taugenichts ist wie ich.«
»Spar dir diesen verächtlichen Ton, wenn du von Doug sprichst«, sagte Lynn aufbrausend. »Er hat eben rechtzeitig kapiert, das man mit Trinken und Drogen gar nichts erreicht, besonders nach dem, was mit dir passiert war. Es ist ihm nicht leicht gefallen, aber er hat sich geändert. Und jetzt versucht er eben, ein gutes Leben zu führen. Er ist großartig zu mir, und dir versucht er, ein guter Freund zu sein — er hat es nicht verdient, dass du dich über ihn lustig machst.«
»Während er damit beschäftigt war, ein Musterknabe zu werden, hab ich im Knast gesessen«, entgegnete Larry verbittert. »Hab ich dir eigentlich erzählt, wie es da zugeht?«
»Schon hundertmal.«
»Spar dir deinen Sarkasmus.« Larry nahm einen Schluck Bourbon. »Du und Doug, ihr habt genauso viel verbrochen wie ich. Nur habt ihr euch nicht dabei erwischen lassen.«
»Wir sind weder eingebrochen, noch haben wir einen Bullen mit der Waffe bedroht. Das war allein deine Schnapsidee.«
»Aber die Drogen, die ich euch mit meinem schmutzigen Geld beschafft habe, die habt ihr euch ohne schlechtes Gewissen reingezogen«, höhnte Larry.
Lynn senkte den Blick. Sie starrte eine Weile auf ihren Schoß und seufzte schließlich. »Was dir passiert ist, tut mir Leid. Und du hast Recht — im Grunde waren Doug und ich genauso schuldig wie du. Wir waren damals alle ziemlich ausgeflippt. Aber dass sie dich erwischt haben, das hast du nicht uns zu verdanken, sondern Rebekka.
»Irgendwie hat sie herausgefunden, dass ich der Einbrecher war, und ihren Onkel auf mich gehetzt. Er hat mich angeschossen.«
»Du hattest eine Waffe auf ihn gerichtet, Larry«, erinnerte Lynn ihn sanft.
»Ich hätte ihn aber nicht erschossen. Ich hab doch nur so getan. Und jetzt
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