Glaub nicht es sei vorbei
pflegte, und wünschte sich manchmal, ihre Mutter hätte nur ein Quäntchen von ihrem Mut. »Komm rein«, sagte Esther. »Ich habe frische Limonade und Waffeln.«
Esther hatte Jonnie und Rebekka immer mit Limonade und Waffeln verwöhnt. Esther liebte und verstand Kinder. Als sie jünger war, hatte sie viele Jahre in der Grundschule unterrichtet und war dort wegen ihrer Geduld und ihres Humors sehr beliebt gewesen.
Eine halbe Stunde später kam einer von Esthers Angestellten an die Tür, weil er eine Frage hatte. Esther wandte sich an Rebekka. »Ich habe hier noch etliches ins Reine zu bringen, ehe ich ins Krankenhaus gehe. Ich werde mich beeilen.«
»Lass dir ruhig Zeit«, sagte Rebekka. »Ich werde mit Sean spazieren gehen. Ich war schon so lange nicht mehr hier.«
Sean hob etliche Male das Bein, während Rebekka mit ihm an den beiden Gewächshäusern vorbei hinunter zum Teich schlenderte. Das Gewässer war einige Jahre nicht mehr ausgebaggert worden, und an seiner Oberfläche blühten Wasserlilien. Rebekka und Jonnie hatten sich an lauen Frühlingsabenden gern die Zeit damit vertrieben, Glühwürmchen in Einmachgläsern zu fangen. Sobald sie verglichen hatten, wessen Ausbeute größer war, hatten sie sie wieder freigelassen. Jetzt surrten riesige Libellen über den Teich, säumten hohe Binsen und Riedgras das trübe Wasser. Rebekka fragte sich, ob Esther die Mittel fehlten, um den Teich ausbaggern zu lassen. Sie hatte sich immer strikt geweigert, Geld von Frank anzunehmen, aber es wäre doch schade gewesen, wenn sie diesen schönen Ort verwildern ließe, nur weil sie zu stolz war, ein wenig Unterstützung anzunehmen.
Rebekka ließ Sean von der Leine, weil sie wusste, dass er Wasser nicht besonders mochte und nicht in den schmutzigen Teich springen würde. Stattdessen rannte er ein paar Minuten ziellos umher und stürmte dann auf das Blockhaus zu, das etwa fünfzig Meter vom Teich entfernt stand. Rebekka folgte ihm und erinnerte sich, wie aufregend sie, Jonnie, Doug und Molly diese Hütte immer gefunden hatten. Sie war um 1770 herum erbaut worden und hatte eine der ersten Siedlerfamilien in der Gegend beherbergt, ein Ehepaar mit Namen Leland, welches das Land bebaut, drei Kinder großgezogen und zwei weitere durch Pocken verloren hatte.
Rebekka drehte am Türknauf, obwohl sie wusste, dass die Tür abgeschlossen war. Sie spähte durch eine der Glasscheiben, die das eingefettete Papier ersetzt hatten, welches den Lelands ursprünglich als Wind- und Kälteschutz gedient hatte. Das Innere war leer, bis auf einen alten Holztisch in der Mitte des Hauptraums und einen Schaukelstuhl in der Ecke, die dem Fenster am nächsten war. An einer Wand befand sich eine steinerne Feuerstelle und an der anderen Regale für Porzellan. Rebekka hatte ihre Zweifel, dass die Lelands viel kostbares Porzellan auszustellen hatten. Vielleicht hatten sie diese Regale in Erwartung kommenden Reichtums gezimmert. Eine Gartenspinne hatte ein eindrucksvolles Netz zwischen einem Wacholderstrauch und dem Türrahmen gesponnen.
Rebekka wandte sich von der Hütte ab. Sean sprang fröhlich auf sie zu, stellte sich auf die Hinterbeine und umarmte mit den Vorderpfoten ihre Hüfte. Sie beugte sich zu ihm hinunter, umarmte ihn und drückte ihm einen Kuss auf den Kopf, gerührt von der Zuneigung, die er ihr trotz seiner Furcht vor Menschen entgegenbrachte. Er ließ sie los und steuerte auf den Teich zu, wo er, offenbar fasziniert von den wenigen tapferen Goldfischen, die noch darin verblieben waren, eine Pfote ins Wasser tauchte und angeekelt gleich wieder zurückzog.
Diese Bewegung löste in Rebekka eine Erinnerung aus. Sie war elf gewesen und am Boden zerstört, als sie eines Morgens aufgewacht war und ihren Hamster Melvin tot im Käfig vorgefunden hatte. Frank hatte sie und Jonnie mitsamt dem irischen Setter Rusty zu Esther gefahren, weil er wusste, wie sehr Rebekka die Gärtnerei mochte. Doch obwohl sich alle sehr bemüht hatten, sie aufzuheitern, war Rebekka weiterhin traurig gewesen. Dann hatte Jonnie unvermittelt T-Shirt und Jeans abgelegt und war in seiner grellbunten Badehose in den Teich gesprungen, um ihr seine Schwimmkünste vorzuführen. Im Gegensatz zu Rebekka, die noch heute nach zwei Metern unterging wie ein Stein, war er bereits mit vier Jahren geschwommen wie ein Fisch. Während er sie mit Kunststückchen aufzuheitern suchte, war neben ihm der 50 Kilo schwere Hund ins Wasser gesprungen, der seine entzückten Juchzer für Hilfeschreie
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