Glaub nicht es sei vorbei
Clay beachtete Jean nicht weiter, aber Rebekka sah ihr Gesicht. Ihre Augen blitzten vor Entrüstung. Offensichtlich empfand sie Clay als Eindringling, obwohl er Arzt war und Molly kannte, seit sie ein Teenager war. Rebekka beschloss, Erkundigungen über sie einzuholen. Vielleicht konnte Clay ihr später ein paar Auskünfte geben.
Molly wollte gegen die Spritze aufbegehren, verstummte aber, als sei ihr die Luft ausgegangen. Dann saß sie schlaff da und wischte sich halbherzig die Tränen von den Wangen, während Clay die Spritze aufzog.
»Ich werde die Nacht hier verbringen«, sagte Jean. »Ich finde, dass Molly nicht allein bleiben sollte.«
Clay nickte. »Das finde ich auch.«
»Ich könnte doch bleiben«, sagte Rebekka.
Bill flüsterte Rebekka ins Ohr: »Du weißt doch, dass Molly spektakuläre Erkenntnisse von dir erwartet, Schatz. Sie wird dich beobachten wie ein Falke, in der Hoffnung auf eine Vision. Es wäre für euch beide die Hölle.«
Jean hatte das Gespräch mit angehört. »Er hat Recht, Miss Ryan. Und Sie sehen müde aus.« Ihr Ton war bedeutend milder geworden. »Ich laufe nur kurz nach drüben und hole ein paar Sachen. Ich bin sofort zurück.«
Rebekka hatte immer noch das Gefühl, als würde sie Molly ein zweites Mal im Stich lassen, aber was Bill und Jean sagten, ergab natürlich einen Sinn. Außerdem hatten inzwischen die kleinen Verletzungen, die sie bei dem Unfall davongetragen hatte, wieder zu schmerzen begonnen. Sie merkte, dass sie sich mit dem Spaziergang bei Esther übernommen hatte. Auch sie brauchte dringend eine Schmerztablette und ihren Schlaf.
Rebekka half Molly ins Bett und blieb bei ihr, bis sie sie in tiefen Zügen atmen hörte. Dann ging sie aus dem Zimmer. Gedämpftes Licht sickerte aus dem Wohnzimmer in den Flur, und Rebekka hörte Clay und Bill leise miteinander reden. Sie ging in Todds Zimmer, berührte seine Schwimmmedaille und sah den Fischen zu, die gelassen in ihrem Glas herumschwammen. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und bemerkte noch, wie in Jeans Haus das Licht ausging. Gleich würde sie wieder hier sein.
Rebekka setzte sich auf Todds Bett. Sie schloss die Augen und begann, von hundert rückwärts zu zählen. Bei 85 gab sie es auf. Sie hatte noch nie eine Vision »heraufbeschwören« können«. Als sie 12 Jahre alt war, wurde sie von ihrer Großmutter Ava belehrt, dass man Visionen nicht herbeizwingen kann. »Ich war zehn, als ich entdeckte, dass ich diese Gabe hatte«, hatte Ava sich ein Jahr, bevor sie starb, erinnert. »Anfangs hatte ich große Angst, weil ich fürchtete, verrückt zu werden.« Sie hatte sich ein kleines, spöttisches Lächeln gestattet. »Deine Mutter glaubt das noch heute. Meine eigene Tochter hat Angst vor mir. Aber mein Mann hat mich akzeptiert. Und Bill liebt mich. Deine Mutter wird deine Kraft nie zu schätzen wissen, Rebekka. Sie wird sich immer davor fürchten. Es könnte ein Problem zwischen euch werden. Aber du hast ja deinen Onkel Bill. Er versteht dich.«
Er hatte sie in der Tat verstanden, ihr von Anfang an geglaubt, sie akzeptiert. Und Molly ebenfalls. Jetzt verließen sich beide auf sie, und sie hatte ihnen nichts zu bieten.
Mit einem Gefühl des Scheiterns ging sie zurück ins Wohnzimmer. »Schläft Molly?«, fragte Clay.
»Ja. Sie sieht ganz friedlich aus.«
»Sie brauchte eine Spritze, ein schnell wirkendes Mittel, auch wenn es nicht Ms. Wrights Billigung fand.«
»Kennst du sie?«, fragte Rebekka.
»Ich habe sie im Krankenhaus gesehen. Hatte aber bis heute nie das zweifelhafte Vergnügen, mit ihr zu sprechen.« Clay lächelte gezwungen. »Ich bin nicht eben entzückt von ihr.«
Rebekka nickte. »Molly hat sie einmal am Telefon erwähnt. Sie ist ganz und gar nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich könnte sie nicht immer in meiner Nähe ertragen, aber Molly scheint sie ja zu mögen.« Sie senkte die Stimme und wandte sich an Bill. »Ich bin froh, dass du Molly nichts von dem Blutfleck auf Tramp erzählt hast.«
»Ich wollte es ihr sagen, doch als ich ihr gegenüberstand, habe ich es nicht übers Herz gebracht. Vielleicht morgen.«
»Sie müssen es ihr auf jeden Fall sagen«, riet ihm Clay. »Diese Keene da draußen wusste bereits Bescheid. Wenn die Presse schon informiert ist, können Sie Molly nicht mehr schonen.«
Bill sah wütend drein. »Und wenn ich den zu fassen kriege, der da nicht dicht gehalten hat, dann gnade ihm Gott.«
Rebekka sah auf die Uhr. »Ich habe gesehen, wie bei Jean das Licht
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